Unsichtbare Gefahr

Das unsere Meere zur Müllkippe geworden sind, hat sich bis zur letzten Insel herumgesprochen. Denn dort an den Stränden landen immer wieder die unterschiedlichsten Plastikteile an. Diese werden dann durch die Brandung zerrieben und bleiben als Mikroplastik zurück. Kleinlebewesen nehmen so etwas als vermeidliche Nahrung auf. Später landet der Plastik-Schrott dann auf unserem Teller.

Doch bevor wir den Fisch auf unserem Teller haben, muss er erst einmal gefangen werden. Das geschieht – wie jedem bekannt – mit der Angelschnur oder Netzen. Doch so einfach scheint das mit dem Fangen nicht zu sein. Denn jedes Jahr landen eine Million Tonnen Geisternetze in den Meeren.

Zurückgelassen und aufgegeben

Mindestens ein Drittel des weltweiten Plastikmülls in den Ozeanen besteht aus Fischereigeräten wie Netzen und Tauen und jährlich kommen rund eine Million Tonnen dazu. Das geht aus einem neuen Report des WWF hervor. Ganz besonders gefährlich sind verlorengegangene Netze, sogenannte Geisternetze. Sie zersetzen sich nicht nur langsam zu Mikroplastik, sondern sind auch eine tödliche Gefahr für Fische, Meeressäuger, Schildkröten und Vögel, die sich darin verfangen und sterben. „Wir brauchen wirksame Gesetze und Kontrollen weltweit, damit Netze nicht mehr ins Meer geraten oder dort verbleiben. Außerdem müssen die Regierungen der Küstenstaaten für Bergung und Vorsorgemaßnahmen verantwortlich sein“, fordert Jochen Lamp, Leiter des Geisternetz-Projektes beim WWF Deutschland.

Müllberge

Wie groß das Problem ist, lässt sich besonders gut im Pazifischen Ozean erkennen. Nicht Berge, sondern Müllstrudel haben sich dort angesammelt. Der riesige Müllstrudel besteht aus 79.000 Tonnen Plastik, fast die Hälfte davon sind Netzteile, Taue oder Angelschnüre. Rund um den Erdball gehen jährlich ein Drittel aller Langleinen und Angelschnüre verloren und allein in den europäischen Meeren verschwinden jedes Jahr mehr als 1.000 km Netze im Wasser – das entspricht der Strecke von den Alpen bis zur Ostsee. „Fischereimüll im Meer ist ein ebenso großes Problem wie Verpackungsmüll. Wir sehen ihn jedoch nicht, weil er meistens unter der Wasseroberfläche treibt oder auf dem Grund des Meeres liegt. Für Meerestiere wie Fische, Delfine, Seevögel oder Robben ist es allerdings die gefährlichste Art von Plastikmüll, weil er dafür gemacht ist, zu fangen. Sie können sich darin verheddern, sich Gliedmaßen abschnüren und qualvoll ersticken oder verhungern“, erklärt Andrea Stolte, die das Geisternetzprojekt beim WWF koordiniert.

Fischereigeräte bergen

Eigentlich verbieten bestehende Gesetze die Verschmutzung der Meere. Auf internationaler Ebene ist die Entsorgung von Fischereigerät auf See sowohl über das UN-Seerechtsübereinkommen als auch durch das MARPOL-Abkommen verboten. Geht ein Netz verloren, sind europäische Fischer zuerst verpflichtet, es selbst zu bergen und ansonsten den Verlust den nationalen Behörden zu melden, die dann für die Bergung zuständig sind. „Diese Gesetze sind leider nur effektiv, wenn ihre Einhaltung auch kontrolliert wird. Das ist auf internationaler Ebene auf den Meeren kaum möglich, dafür fehlt es schlichtweg an Mitteln und politischem Willen. Das globale Problem der Verschmutzung durch Geisternetze lässt sich nur lösen, wenn die einzelnen Küstenstaaten ihre Verantwortlichkeit dafür endlich übernehmen. Kontrolle, Bergung und Vorsorge müssen also staatliche Aufgabe bzw. Ländersache werden“, erklärt Jochen Lamp. Bisher übernehmen in vielen Ländern Umweltschutzorganisationen das Bergen der Netze, finanziert wird es häufig aus Spendengeldern. Auch der WWF hat in den letzten sechs Jahren 18 Tonnen Geisternetze aus der Ostsee geborgen. Nicht mal ein Tropfen . . .

Deutschland wie vielfach Vorreiter

In Deutschland sind die Küstenländer Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein schon auf einem guten Weg. Trotzdem sieht Jochen Lamp weiteren Handlungsbedarf und schlägt einen Dreiklang aus Maßnahmen vor. „Der WWF fordert, dass die Bergung der Netze generell verpflichtend wird. Zurzeit ist das nur nötig, wenn die Sicherheit von Seeschifffahrtsstraßen gefährdet ist. Die schädliche Wirkung auf die Umwelt bleibt außen vor. Zudem müssen klare Verantwortlichkeiten bei den Behörden geschaffen werden, damit eindeutig ist, wer die Bergung vornehmen muss. Als dritten Punkt setzt sich der WWF für die Absicherung der Fischer ein. Sie verlieren die teuren Netze nicht freiwillig. Eine Fischerei ganz ohne Netzverluste durch Unfälle ist leider kaum vorstellbar. Solange sie allerdings mit der Bergung alleingelassen oder teuer zur Kasse gebeten werden, ist die Bereitschaft, ein verlorengegangenes Netz zu melden, gering.“ Der WWF schlägt deshalb vor, Mittel aus dem Europäischen Fischereifonds zur Finanzierung der Bergung zu nutzen und so die Meldequote zu erhöhen, damit verlorene Netze gar nicht erst so lange im Meer liegenbleiben, dass sie zur Gefahr für Menschen und Tiere werden.