Es ist Zeit für Veränderungen. So schallt es durch den sogenannten Blätterwald. Ob Anzeigenblatt und Wirtschaftszeitung, ob Online-Magazin oder Blog; der Versuch mit sachlicher Berichterstattung, Fake News oder Verschwörungstheorien Aufmerksamkeit zu erhaschen, ist ungebrochen. Anscheinend haben die sogenannten Sozialen Medien erkennen müssen, dass die ständige Übertreibung und Lügenberichterstattung an ihren Grundfesten sägt. Und damit an ihrem wirtschaftlichen Grundgerüst. Ein Umdenken ist notwendig, tatsächlich? Dazu zuerst ein Blick voraus zurück.
Zukunftsforschung
Matthias Horx, einer der bekanntesten deutschen Zukunftsforscher und Gründer des Zukunftsinstituts, schriebt in seinem Beitrag in einer Rückwärts-Prognose, einer sogenannten Regnose, wie und worüber wir uns wundern werden, wenn die Corona-Krise vorbei ist. Viral gegangen ist der Text in einer Zeit, in der alles still stand. Im Lockdown. Als niemand wusste, wie es morgen aussehen wird. Horx: „Heute, im Herbst 2020, gibt es wieder eine Weltwirtschaft. Aber die globale Just-in-time-Produktion, mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden, hat sich überlebt. Sie wird gerade demontiert und neu konfiguriert. […] Wir wundern uns, dass sogar die Vermögensverluste durch den Börseneinbruch nicht so schmerzen, wie es sich am Anfang anfühlte. In der Nach-Corona-Welt spielt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarinnen und Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten. Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte? […] 2020 wird der CO2-Ausstoß der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen. Wenn das Virus so etwas kann – können wir das womöglich auch? Vielleicht war das Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt. Aber sie kann sich neu erfinden.“
Krise des Kapitalismus?
Anfangs hat es den den Anschein gemacht, und macht es irgendwie noch immer, dass unser Wirtschaftssystem, dass der Kapitalismus, nicht für Krisen gemacht ist. Dass immer höher, schneller, weiter, konstantes Wachstum, einen Stillstand, einen Verzicht auf Konsum nicht aushalten. Oder warum werden wir gerade jetzt wieder zum Konsumieren animiert? Mit Rabatten, Prämien usw. Diese Gedanken teilen viele, deswegen werden auch jetzt die Rufe nach einem nachhaltigen Wirtschaftswandel immer lauter.
Doch den Kapitalismus, wie er gern verteufelt wird, gibt es in dieser Reinform in Europa nicht. Das „Hire and fire“ wie wir den Umgang mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den USA erfahren, ist bei uns so nicht möglich. Unsere „Soziale Marktwirtschaft“ hat viele Instrumente bzw. entwickelt viele Instrumente, um dem Staat und dem System so wenig wie möglich Schaden zuzufügen. Denn eines ist gewiss: nach der Krise – eigentlich nach jeder Krise – geht das Leben weiter. Unser Staat, unser Staatsgebilde, unsere Demokratie, ist so fest und weit entwickelt, dass Krisen nicht an seinen Grundfesten wackeln können. Eines ist aber auch gewiss: unser Staat und unser Staatsgebilde muss den Bedürfnissen seiner Bürger gerecht werden. Deshalb muss es sich anpassen – und nicht umgekehrt. Deshalb hat unsere Demokratie auch Platz für Kritik und Kritiker. Doch wer unseren Staat und unsere Regeln nicht mag, der muss mit der Härte unserer Gesetze Bekanntschaft machen; seien es Verschwörungstheoretiker oder Mörder.
Corona vs. Klimakrise
Es hat oft den Anschein, dass die drohende Klimakrise durch die aktuelle Corona-Krise in den Hintergrund gerückt ist. Dass die Rettung des Kapitalismus, des aktuell bestehenden Systems, im Jetzt am relevantesten erscheint. Dabei hält das den Klimawandel nicht auf, das sieht auch die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, in ihrer „Dritten Ad-hoc-Stellungnahme: Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden“ so: „Angesichts der tiefen Spuren, welche die Coronavirus-Krise hinterlassen wird, vor allem aber wegen der mindestens ebenso bedrohlichen Klima- und Biodiversitäts-Krise kann es nicht einfach eine Wiederherstellung des vorherigen Status geben.“
Nach dem Shutdown haben wir eine historische Chance, Dinge zu verändern. Mutig zu sein und eine Gesellschaft und ein Wirtschaftssystem zu formen, das so auch in Zukunft besser mit Krisen umgehen kann.