Jeden Tag versuchen Menschen ihr Glück: Die einen starten als abhängige Beschäftigte in einem Unternehmen – und andere versuchen als Unternehmer glücklich zu werden. Anfang der 2000er Jahre wagten über 1,5 Millionen Menschen den Weg in die Selbständigkeit. 2019 waren es „nur noch“ 600.000. Rund 15.000 mussten im 2019 durch Insolvenz ihre unternehmerische Tätigkeit beenden. Genau wie bei den Unternehmensgründungen schwanken diese Zahlen von Jahr zu Jahr. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Viele Unternehmen beenden ihre Tätigkeit ohne eine Insolvenz; zum Beispiel durch Abmeldung ihres Gewerbes. Ob schmuddelig oder Hochglanz, hinter jeder unternehmerischer Fassade wird am Erfolg gebastelt. Denn die meisten haben alles was sie besitzen in die Zukunft ihres Unternehmens gesteckt. Als Handwerker haben sie jahrelang hart gearbeitet um sich dann nach Ausbildung und Meisterschule mit ihrem Können in die Selbständigkeit zu begeben. Sie arbeiten tagein und tagaus als Dachdecker, Maurer und in vielen anderen Berufen. Sie erscheinen aber nicht auf den bunten Seiten dieser Welt.
Start-up
Ganz anders scheint es bei der Start-up Szene zu sein. Mit etwas eigenem und viel fremden Geld wird aus einer kruden Idee eine Unternehmensgründung versucht. Da seit rund 20 Jahren die Erben der Gründergeneration über genug freies Vermögen, aber wenig Erfahrung, verfügen, sind sie bereit, in noch so abwegige Ideen zu investieren. Nach der Devise: es könnte ja erfolgreich sein. Wenn nicht . . .
Nun ist einer aus der Start-up-Szene den Weg in die Öffentlichkeit gegangen. Julian Leitloff schildert gemeinsam mit dem Journalisten Caspar Schlenk „Was es wirklich heißt, ein Start-up zu gründen“. Er möchte den Lesern einen Blick hinter die glänzende Fassade der Start-up-Szene geben. Denn, so seine Erfahrung, ist mit der Unternehmensgründung nicht automatisch Ruhm und Erfolg verbunden. In „Keinhorn“ berichten sie über die Kehrseiten der Selbstständigkeit.
Meist werden nur die schönen Seiten der Szene gesehen. Doch hinter den inszenierten Bildern ist das Leben trist und von Einsamkeit gezeichnet. Auch dann, wenn ein Kicker oder ein Obstkorb sowie Freigetränke eine familiäre Welt vorgaukeln. Trotz der geglückten Finanzierungsrunden oder Kooperationen ist der Lohn karg. Da werden Tarifverträge und Mindestlöhne meist nicht eingehalten. Trotzdem gelten sie als dynamisch, kreativ und angesagt. Junge Unternehmer bringen vegane Nahrung auf den Markt oder programmieren Apps, die unser Leben perfektionieren sollen.Wer dann eine Unternehmensbewertung von einer Milliarde Euro erreicht – wie auch immer die Zahlen dafür addiert werden – erhält als Belohnung die Märchenfigur eines „Einhorn“ als Bewertung.
Hier setzten Gründer Leitloff und Journalist Schlenk an. Leitloff gründete 2012 mit zwei Studienfreunden sein erstes Start-up „Stilnest“ – er war erst 22 Jahre alt. Das Unternehmen soll Schmuck mit einem 3D-Drucker herstellen, was aber nicht so recht gelingt. Deshalb muss ganz konventionell produziert werden. Aus der Start-up-Idee wird dann ein Online-Handel. Wie es dann trotzdem gelingt, Geld durch Finanzierungsrunden einzusammeln, wie der Jung-Unternehmer zweifelt und wie dann der Ausstieg ohne einem Millionen-Deal von statten geht, schildert das Buch ausführlich. Eine wahre Geschichte findet dann doch noch – so jedenfalls Leitloff – zu einem guten Ende.
Fazit
Im Buch schildert Leitloff seine Geschichte als Unternehmer und erzählt vom aufreibenden Weg zum Erfolg. Auch wenn er von vielen unangenehme Situation berichtet, so bleibt zwischen den Zeilen vieles offen. Eine Geschichte vom Unternehmer, die von der Schule und vom Studium geprägt ohne praktische Erfahrung im täglichem Leben die Welt erobern wollen. Was ihnen auch anscheinend gelingt. Denn das aktuelle Gehalt von Leitloff zeigt, dass er erfolgt hat. Und unabhängig und frei ist. Ein Arbeitnehmer mit etwa ähnlichen Einnahmen hat nur einen Auftraggeber. Wenn der wegfällt, wird die Lebensfinanzierung trotz Arbeitslosengeld eng. Da ist das Unternehmerdasein mit allen seinen Nachteilen doch zukunftssicher.
Julian Leitloff, Caspar Schlenk: Keinhorn. Was es wirklich heißt, ein Start-up zu gründen.
Campus Beats, Frankfurt 2020, 259 Seiten