G geht immer

Es begann als Abenteuer. Der Franzose Thierry Sabine veranstaltete die Rally Paris – Dakar zur Jahreswende 1978/79 zum ersten Mal. Von den 182 gestarteten Fahrzeugen kamen 89 ins Ziel. 1983 gewann Jacky Ickx und Claude Brasseur auf Mercedes 280 GE das Rennen. Luckx – das magazin schaut 40 Jahre zurück.

12.000 Kilometer und 20 Tage unterwegs

Die Rallye Paris–Dakar hat damals große weltweite Strahlkraft. Es ist die fünfte Auflage. Gestartet wird am frühen Morgen des 1. Januar 1983 auf dem Place de la Concorde in Paris. Nach rund 20 überaus anspruchsvollen Tagesetappen durch Wüsten, wie die Ténéré in der Südsahara sowie im nördlichen Niger, erreicht das stark ausgedünnte Teilnehmerfeld die Millionenstadt Dakar an der Atlantikküste. Zwischen 10.000 und 12.000 Kilometer legen die Teilnehmer der Automobil-, Lkw- und Motorradwertung bis ins Ziel zurück.

Die „Paris–Dakar“ lockt bereits seit ihren frühen Jahren namhafte Automobilhersteller zum Wettbewerb in der afrikanischen Wüste. Der ehemalige Automobil- und Motorradrennfahrer Thierry Sabine gründet und organisiert das spektakuläre Abenteuer. Im Januar 1986 kommt er bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Die Veranstaltung wird bis heute weitergeführt, sie heißt jetzt „Rallye Dakar“ und findet aktuell in den Wüstengebieten Saudi-Arabiens statt. Davor wird sie von 2009 bis 2019 in Südamerika ausgetragen.

Mercedes-Benz 280 GE „Paris–Dakar“

Mercedes-Benz France leitet die Vorbereitung des siegreichen Mercedes-Benz 280 GE der Baureihe 460. Kundendienstchef Gunter Latour pflegt gute Kontakte zu Mercedes-Benz in Untertürkheim. Dort wird Georg Berkmann mit dem Projekt beauftragt. Der Diplomingenieur ist in der Haupttätigkeit für die Verbrennungsprozesse von Pkw-Motoren in Nutzfahrzeugen zuständig. Für den harten Rallyeeinsatz des 280 GE überarbeitet er den Doppelnockenwellen-Sechszylindermotor M 110. Mit dem sportlichen Triebwerk siegt bereits 1977 ein Mercedes-Benz 280 E der Baureihe 123 bei der wohl längsten Rallye in der Motorsportgeschichte: Andrew Cowan, Colin Malkin und Mike Broad belegen nach mehr als sechs Wochen und rund 30.000 Kilometern Platz eins des Rallyemarathons London–Sydney. Georg Berkmann wählt die Serienvariante des M 110 mit 136 kW (185 PS) als Grundlage. Für die Rallye Paris–Dakar der Jahre 1982 und 1983 will er noch mehr Leistung herauskitzeln. Zum Vergleich: Der M 110 im 1979 vorgestellten Mercedes-Benz 280 GE leistet 115 kW (156 PS). Der Ingenieur greift auf Nockenwellen zurück, die ursprünglich zur Leistungssteigerung des 280 SL (R 107) vorgesehen sind. So erreicht der „Paris–Dakar“-Motor rund 145 kW (197 PS). Zu den ungewöhnlichen Lösungen zählt die Hydraulikpumpe aus dem T-Modell der Baureihe 123 zur Niveauregulierung: Im Motorsport-G-Modell dient sie der Kühlung des Schaltgetriebes.

Extreme Temperaturen

Problematisch beim Einsatz in den Wüsten des afrikanischen Kontinents sind vor allem extreme Temperaturen, Staub und schlechte Benzinqualität. Zunächst verlegt Berkmann die Luftansaugung des Triebwerks in den Innenraum. Dort sind die Temperaturen meist niedriger, und der Staubanteil in der Luft ist geringer. Gegen die schlechte Benzinqualität wählt er ein einfaches, aber wirksames Mittel. Vier Jahrzehnte später erzählt er: „Am Zündverteiler habe ich gelbe und rote Markierungen angebracht. So konnten die Fahrer den Zündzeitpunkt rasch verstellen, wenn der Motor aufgrund schlechter Spritqualität klingelt.“ Damit das schnell geht und nicht nach dem passenden Werkzeug gesucht werden muss, befestigt der findige Ingenieur nahe beim Zündverteiler einen vier Millimeter starken Inbusschlüssel an einer Kette. Jacky Ickx ist ebenfalls gründlich. Bei seiner Vorbereitung beschriftet er jedes Relais, um Defekten rasch auf die Spur zu kommen.

Optimierte Aerodynamik

Mit dem leistungsgesteigerten Motor erreicht der 280 GE eine Höchstgeschwindigkeit von 175 km/h. Das ist 25 km/h schneller als die Serienvariante. Berkmann ist nach den Erfahrungen des Vorjahres jedoch sicher, dass dieses Tempo für den angestrebten Sieg 1983 nicht ausreichen wird: 1982 kommen die Mercedes-Benz 280 GE bei der Rallye Paris–Dakar auf den Plätzen drei (Jean-Pierre Jaussaud/Michel Brière) und fünf (Jacky Ickx/Claude Brasseur) ins Ziel. Eine radikal erhöhte Motorleistung steht aus Gründen der Zuverlässigkeit außer Frage. Berkmann wendet sich an den Ingenieurskollegen Rüdiger Faul, der die Aerodynamik verschiedener Rennsportwagen und des C 111–IV entwickelt hat. Dieser Rekordwagen erreicht 1979 bei Weltrekordfahrten in Nardò mehr als 400 km/h.

Um die Aerodynamik des 280 GE zu optimieren, geht Faul pragmatisch vor. „Ich habe mir in der Bauabteilung des Werks Sindelfingen Abwasserrohre aus Kunststoff mit 70 Millimetern Durchmesser besorgt“, beschreibt er rückblickend. Er befestigt Rohrsegmente rund um die Windschutzscheibe und optimiert auf diese Weise den Strömungsverlauf in diesem Bereich deutlich. Am Heck wählt Faul markante Verlängerungen des Dachs und der hinteren Seitenwände. Unternehmensintern erhält diese signifikante Veränderung der Karosserielinie die Bezeichnung „Buswartehäuschen“. Die Maßnahmen optimieren den Luftwiderstand drastisch. Messungen im Untertürkheimer Windkanal belegen, dass der cW-Wert von ursprünglich 0,52 auf 0,41 sinkt – das ist eine Verringerung um 20,5 Prozent. Georg Berkmann resümiert: „Aufgrund der Aerodynamikveränderungen stieg die Spitzengeschwindigkeit um gut 20 km/h auf nahezu 200 km/h, und das bei einem um fünf Liter je 100 Kilometer niedrigeren Verbrauch.“

Rallye Paris–Dakar, 1. bis 20. Januar 1983. Mercedes-Benz 280 GE Rallyefahrzeug der späteren Sieger Jacky Ickx und Claude Brasseur. Service beim nächtlichen Stopp. 

Jacky Ickx und Claude Brasseur

Der am 1. Januar 1945 in Brüssel geborene Jacky Ickx gehört von den späten 1960er-Jahren bis Ende der 1980er-Jahre zu den besten Rennfahrern. Zwischen 1966 und 1979 gewinnt er acht Grands Prix in der Formel 1 und wird 1970 Vizeweltmeister. Bei den 24 Stunden von Le Mans siegt er zwischen 1969 und 1982 sechs Mal. Bei der Rallye Paris–Dakar belegt der Belgier neben seinem Sieg 1983 im Vorjahr Rang fünf mit dem Mercedes-Benz 280 GE und 1986 Rang zwei. „1982 haben wir den 280 GE entdeckt. Man kann ihn bis zum Äußersten einsetzen und seiner Technik uneingeschränkt vertrauen – das ist ein Kapital für die Rallye Paris–Dakar“, erklärt Ickx in einem Interview kurz nach seinem Sieg 1983. Hinzu komme, dass er sich mit seinem Copiloten Claude Brasseur sehr gut verstanden habe. „Wir sind nicht einfach als Kollegen, sondern als Komplizen gestartet. Das war sicher wesentlich.“ Der 2020 verstorbene Brasseur zählt damals zu den bekanntesten französischen Kino- und TV-Darstellern.

Die Rallye Paris–Dakar 1983

Schon 1982 trägt das Engagement von Mercedes-Benz France bei der Rallye Paris–Dakar Früchte mit den Plätzen drei und fünf. Unter den ersten zehn Fahrzeugen im Ziel finden sich zwei weitere 280 GE und ein Mercedes-Benz Prototyp. Im Jahr 1983 fahren 193 Autos, Buggys und Lastwagen sowie 111 Motorräder die 12.000 Kilometer von Frankreich über Algerien, Niger, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Mali und Mauretanien bis in den Senegal. Wichtigste Navigationshilfe ist der Kompass. Die prominentesten Starter des Felds, Jacky Ickx und Claude Brasseur, übernehmen mit dem 280 GE früh die Führung. Vor dem Etappenziel in Agadez (Niger) stellt Ickx an seinem Motor einen starken Leistungsverlust fest. Er erhält das Triebwerk eines Teamkollegen. Der Wechsel kompletter Aggregate mit einem anderen Fahrzeug im Wettbewerb ist gestattet. Danach fährt Ickx wieder sein gewohnt hohes Tempo.

Viele Teilnehmer scheiden wegen der Strapazen dieser Rallye mit 20 Tagesetappen von 300 bis 1.000 Kilometern Länge aus: Die Technik streikt, Unfälle oder Stürze der Motorradfahrer dezimieren das Feld. Manche geben aus schierer Erschöpfung auf – oder weil sie nach vielen Stunden Irrfahrt durch die Wüste das Etappenziel nicht mehr rechtzeitig erreichen. Lediglich 61 Autos und Lastwagen sowie 28 Motorräder erreichen das Ziel. Ickx und Brasseur sind die erschöpften, aber gefeierten Gewinner am Strand von Dakar. Auf den Rängen fünf, sechs und acht erreichen weitere G-Modelle von Mercedes-Benz das Ziel. Die Marke feiert sogar einen Doppelsieg: Georges Groine, Thierry de Saulieu und Bernard Malfériol erreichen Dakar mit einem Mercedes-Benz 1936 AK Allrad-Lkw (261 kW/355 PS) als bester Lastwagen.