Auto fahren wird zu einer immer größeren Herausforderung. Leistungsstärkere Fahrzeuge lassen bei einigen Mitmenschen das Gefühl der Unbesiegbarkeit aufkommen. Es wird zu schnell gefahren obwohl zu wenig Fahrpraxis vorhanden ist. Welche Aggressionen sich im Straßenverkehr aufgebaut haben, hat luckx – das magazin recherchiert.
Verkehrsverhalten
Eigentlich ist die Situation klar geregelt: Jeder hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer behindert oder belästigt wird. Doch das Empfinden ist bei jedem etwas anderes. Der eine ist tierisch genervt, weil das Auto vor einem im Schneckentempo über die Landstraße kriecht, obwohl man deutlich schneller fahren dürfte. Oder man hat den Eindruck, alle anderen würden fahren, als hätten sie den Führerschein im Lotto gewonnen. Und wenn wir es eh schon eilig haben, liegt beim Einbiegen auf den Parkplatz ein E-Roller im Weg. Ebenfalls üblich: Man überholt links auf der Autobahn und von hinten rast ein Drängler mit Lichthupe knapp bis an die eigene Stoßstange heran. Radfahrer und Fußgänger fühlen sich gleichermaßen oft von Autofahrern bedrängt, denen es nicht schnell genug gehen kann. Was diese Fälle gemeinsam haben? Im Straßenverkehr können mitunter gewaltig die Emotionen hochkochen, was sich in aggressivem Verhalten bzw. aggressiver Fahrweise äußern kann. Wie es genau um die Stimmung auf Deutschlands Straßen bestellt ist, hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa in einer repräsentativen Online-Befragung unter 1.000 Verkehrsteilnehmenden herausgefunden. Die Befragten konnten jeweils angeben, ob sie Aussagen „voll und ganz“, „eher“, „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ zustimmten. In Auftrag gegeben hatte die Studie mit dem Titel „Aggression im Straßenverkehr“ der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR).
Drängeln und zu dicht auffahren
Zur Situation befragt, wenn andere Fahrer drängeln oder zu dicht auffahren, bleibt die Mehrheit souverän: 72 Prozent der Befragten gaben an, Platz zu machen und den Drängler vorbeizulassen. Dies deckt sich auch mit Angaben von 85 Prozent der Befragten, die aussagten, dass in ihnen entsprechend keine Wut aufkäme und sie nicht kurz auf die Bremse treten würden. Einem derartigen Impuls geben jedoch immerhin 27 Prozent nach: Sie fahren in einer solchen Situation bewusst noch langsamer. Demgegenüber stehen 21 Prozent, die bei Dränglern nervös werden und meist schneller fahren, obwohl sie dies nicht möchten. „Zu dieser letztgenannten Gruppe, die bei Dränglern verunsichert reagiert, zählen tendenziell die Fahrerinnen und Fahrer unter 30. Überdurchschnittlich oft fahren hingegen Männer und Über-60-Jährige in einer solchen Situation entspannt weiter“, kommentiert Isabella Finsterwalder, Pressesprecherin des Automobilclub KS e.V., die Studienergebnisse. „Erschreckend war jedoch, dass ganze 45 Prozent der Befragten angaben, verärgert zu sein, wenn sich ein vorausfahrendes Fahrzeug strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält, die Straße ihrer eigenen Meinung nach aber eine höhere Geschwindigkeit zulassen sollte.“
Reaktionen hinter einem langsameren Fahrzeug
Die Teilnehmenden wurden auch dazu befragt, wie sie sich selbst auf der Autobahn hinter einem langsameren Fahrzeug verhalten. Die große Mehrheit von 92 Prozent gab an, in dieser Situation ruhig zu bleiben und zu warten, bis sich eine Überholmöglichkeit ergibt. Auch ausreichend Abstand zum Auto vor ihnen zu halten, gehört dabei für 86 Prozent dazu, selbst wenn sie sich über das langsamere Fahrzeug ärgern. Jedoch 19 Prozent gaben an, auch einmal etwas dichter aufzufahren, um einen gewünschten Überholvorgang zu signalisieren – 13 Prozent der Befragten überholen in solchen Fahrsituationen mitunter auch rechts. Sogar 8 Prozent zeigen dem Fahrer oder der Fahrerin, sobald sich eine Gelegenheit bietet, wie genervt und verärgert sie sind. Vor allem die Gruppe der 30- bis 45-Jährigen stellte sich bei diesem Themenkomplex als eher ungeduldig dar und gab an, auch mal dichter aufzufahren oder rechts zu überholen. Insgesamt sind es auch eher Männer als Frauen, die das Abstandsgebot nicht einhalten und so ihren Wunsch zu überholen signalisieren. „Ein solches Verhalten birgt ein hohes Unfallpotenzial – gerade auf Autobahnen, wo die Bremswege aufgrund der höheren Geschwindigkeiten ohnehin länger sind, ist ausreichend Abstand unter Umständen entscheidend“, mahnt Finsterwalder an.
Aggression reduzieren
Last, but not least wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie auch gefragt, mit welchen Maßnahmen sich Aggressionen im Straßenverkehr ihrer Meinung nach eindämmen lassen würden. Fast zwei Drittel (63 Prozent) erachten härtere Konsequenzen in Form von Bußgeldern, Punkten und Fahrverboten als wirksame Maßnahme bei aggressionsbedingtem Fehlverhalten. Gut die Hälfte (51 Prozent) hält verpflichtende Schulungen für ein probates Mittel, um dem beizukommen, während sich 39 Prozent für häufigere Kontrollen und stärkere Polizeipräsenz aussprachen. Jedoch sind 34 bzw. 33 Prozent der Befragten auch der Meinung, dass man zeitlich früher ansetzen müsse: mit verstärkter Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung in den Schulen bzw. mit einem Zusatzmodul „Aggression“ in der Fahrausbildung, das über rücksichtsvolles und achtsames Verhalten informiert. Für ein Drittel der Teilnehmer kämen auch Tempolimits (33 Prozent) und mehr Aufklärung in den Medien und sozialen Netzwerken (32 Prozent) in Betracht, um Bewusstsein für einen rücksichtsvollen Umgang miteinander zu schaffen.
„Interessant war zudem, dass nur 21 Prozent der Studienteilnehmer automatisierte Fahrzeuge als Maßnahme zur Eindämmung von Aggressionen im Straßenverkehr betrachten. Schließlich sollten – flächendeckende und hohe Automatisierungsgrade vorausgesetzt – die Emotionen der Fahrenden in einem automatisierten Straßenverkehr keine Rolle mehr spielen, wenngleich dies momentan noch etwas Zukunftsmusik ist“, so Finsterwalder. Als weitere Maßnahmen genannt haben die Befragten überdies spontan vereinzelt die Einführung einer Mindestgeschwindigkeit und ein stärkeres Vorgehen gegen Langsamfahrende. Auch die regelmäßige oder altersbedingte Überprüfung der Fahrtauglichkeit, die Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders, eine adaptive Verkehrssteuerung (z.B. situativ angepasste Tempolimits) sowie das Vorantreiben der Verkehrswende (je ein Prozent) wurden als Möglichkeiten angeführt. Neun Prozent gehen davon aus, dass keine der genannten Maßnahmen wirksam ist.