In den letzten Monaten haben wir erlebt, wie sich Europa zu Luthers Zeiten angefüllt haben dürfte: Reisen war nur unter sehr großen Einschränkungen möglich, der Handel mit Waren – fast nur Lebensmittel – fand im engen Umfeld statt, das Corona-Virus brachte zehntausenden Menschen den Tod. Die mühsam über Jahrzehnte aufgebaute europäische Verständigung wurde innerhalb von wenigen Tagen durch nationales, egoistisches Verhalten von Staatsführern zerstört. Europa war auf so eine Pandemie in keiner Weise vorbereitet. Wie auch? Alle, wirklich alle, gingen davon aus, dass das Mittelalter überwunden schien. Doch das Mittelalter kehrte mit voller Wucht zurück.
Europäische Wirtschaft
Mit viel Geld soll nun das gerettet werden, was durch den Virus zerstört wurde: die europäische Wirtschaft. Doch Einigkeit herrscht darüber in keinem Fall. Wie auch? Nationale Interessen wollen die politisch Verantwortlichen retten. Einige unterstellen, dass dabei vor allem die großen Wirtschaftsnationen davon profitieren werden. Doch die großen Wirtschaftsnationen wie Deutschland können nur vorangehen und die kleineren Wirtschaftsnationen mitnehmen. Das macht Deutschland schon seit mindestens zehn Jahren. Sonst würde es keine starke wirtschaftliche Entwicklung geben wie wir sie in der Tschechischen Republik, der Slowakei, Polen oder Ungarn erleben. Gerade die Automobilindustrie hat in diesen Ländern zu Wohlstand und geringer Arbeitslosigkeit geführt.
Deutsche EU-Ratspräsidentschaft
Europa soll stärker, gerechter und nachhaltiger aus der Corona-Pandemie hervorgehen – das ist die Hoffnung, die mit der Ratspräsidentschaft Deutschlands verbunden wird; insbesondere mit der Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. Am 1. Juli übernimmt also unser Land turnusgemäß für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft von Kroatien. Danach folgt dann Portugal ab Januar 2021 und gibt ihn sechs Monate später an Slowenien ab.
Von der Ratspräsidentschaft Deutschlands wird viel erwartet, denn die anstehenden Aufgaben sind sehr schwerwiegend. So soll die Covid-19-Pandemie und die Bewältigung der sozio-ökonomischen Folgen überwunden werden als auch eine Verbesserung des europäischen Krisenmanagements erfolgen. Das geht natürlich nicht ohne finanziellen Einsatz. So laufen parallel die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 zusammen mit dem neuen Wiederaufbaufonds. Auch ist das künftige Verhältnis der EU zum Vereinigten Königreich zu regeln. Zwar möchten die Briten trotz ihrer Jahrtausenden Verbindungen zu Europa nun einen eigenen Weg gehen. Doch das schon durch die Austrittserklärung sehr angeschlagene Land kann nicht allein gelassen werden. Auch wenn durch den Ärmel-Kanal von Festland getrennt, gehört UK weiterhin zu Europa.
Denn neben den paar politischen Mandatsträgern gibt es über 66 Millionen Menschen, die nicht ihrem Schicksal überlassen werden dürfen. Dafür trägt die Europäische Gemeinschaft ebenfalls die Verantwortung. Sie gehören zu Europa.
Vorteile für EU-Bürger
Die Vorteile der EU sind für viele Menschen nicht so richtig bewußt. Seit 1957 steht die EU für Frieden und Wohlstand. Sie trägt zum Schutz der grundlegenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte bei. Wir halten diese Rechte für selbstverständlich und vergessen allzu oft, wie wichtig sie in unserem täglichen Leben sind. Das hat gerade in den letzten 30 Jahren dazu geführt, dass viele osteuropäische Staaten der Europäische Gemeinschaft angehören möchten. Dabei geht es in erster Linie sicherlich um die Finanzmittel und wirtschaftlichen Beziehungen. Denn der europäische Binnenmarkt ist der am weitesten entwickelte und offenste Markt der Welt. Er beruht auf den vier Grundfreiheiten, die es Ihnen und anderen EU-Bürgern ermöglichen in einem beliebigen EU-Land zu leben und zu arbeiten, die Vorteile des freien Kapitalmarkts zu nutzen, über Grenzen hinweg Waren zu verkaufen oder Dienstleistungen anzubieten.
Da die EU-Länder so eng zusammenarbeiten, genügen unsere Lebensmittel- und Umweltqualität höchsten Standards. Unternehmen können in der EU nicht ungestraft kontaminierte Lebensmittel verkaufen oder unsere Flüsse und Landschaften verschmutzen.
Verbraucher können sicher sein, dass sie für beanstandete Produkte ihr Geld zurückbekommen. Reisende können unbesorgt Fahrkarten oder Flugtickets kaufen, denn sie erhalten bei Verspätungen oder Annullierungen Geld zurück. Die Qualitäts- und Sicherheitsnormen für alle in den Geschäften der EU angebotenen Waren gehören zu den strengsten der Welt.
Die EU schützt Minderheiten und benachteiligte Bevölkerungsgruppen und setzt sich für Unterdrückte ein. Sie fordert gleiche Rechte für alle, ohne Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Sprache, Kultur, Beruf, Behinderung oder sexueller Ausrichtung.
Wenn die EU-Länder gemeinsam handeln, hat ihre Stimme mehr Einfluss in der Weltpolitik als 27 die kleinen und mittleren Nationen alleine. Wir haben politisches Gewicht. Im weltweiten Handel setzen wir mit unseren Regulierungsstandards und Produktnormen Maßstäbe.
Wo auch immer wir uns in der EU aufhalten – Telefon- und Online-Dienste können ohne Zusatzkosten genutzt werden. Auch auf die Online-Video- und Musikstreamingdienste können wir innerhalb der EU unbesorgt zugreifen, denn Ihre persönlichen Daten sind nach EU-Recht geschützt.
Das EU-Recht schützt unsere Rechte bei Verspätungen oder Annullierungen. Ob per Flugzeug, Zug, Schiff oder Bus: es besteht Anspruch auf eine faire Behandlung.
Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union schützt Arbeitnehmer vor unfairer Behandlung am Arbeitsplatz. Diskriminierung ist nicht zugelassen, und dies gilt auch hinsichtlich Lohn und Gehalt oder Entlassungen.
Die EU schützt ihre Bürgerinnen und Bürger vor den Auswirkungen der Globalisierung, indem sie kleine Unternehmen unterstützt und mit entsprechenden Vorschriften dafür sorgt, dass große Unternehmen ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen.
Sicherlich: es ist noch nicht alles perfekt und es gibt weiterhin Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten. Sei es zum Beispiel in Rumänien, Polen oder Ungarn. Doch früher oder später werden auch die Bürgerinnen und Bürger erleben, welche Vorteile ihnen die EU gebracht hat und weiterhin bringen wird. Der Sinn der Demokratie ist es, Andersdenkende zu respektieren. Doch wer die Demokratie beseitigen möchte, muss die Konsequenzen tragen. Sei es mit Verbot, Ausschluss oder Einschluss hinter Gittern.