Vor der Reform ist nach der Reform

Wir Deutsche sind in allem so gründlich. Sogar unsere Sprache versuchen wir in Regeln zu pressen. Und wenn das nicht gelingt, machen wir halt eine Sprachreform. 25 Jahre nach der Rechtschreibreform bricht der alte Streit wieder aus und erweiterte sich um weitere Diskussionspunkte. Luckx – das magazin schaut zurück.

Sprachkämpfe

Regeln müssen sein. Sonst driftet alles ins Chaos. Doch ob Schifffahrt nun mit 3 f geschrieben werden muss oder nicht, ist so ein Klassiker. Als vor 25 Jahren neue Schreibregeln eingeführt werden sollten, erregte sich ein ganzes Land über Kommasetzung und neue Schreibweisen. Der Streit spaltete sogar große Tageszeitungen, die schon nach kurzer Zeit wieder zur alten Regelung zurückfanden. Sogar das Bundesverfassungsgericht wurde angerufen, als die Rechtschreibreform verabschiedet wurde.

Doch aus einer gut gemeinten Reform der deutschen Rechtschreibung entwickelte sich ein großer Streit: Lehrer, Journalisten und Schriftsteller, konservative Sprachwahrer und progressive Intellektuelle gingen auf die Barrikaden – ein Sprachkampf, der allein 1997 zu 30 Gerichtsverfahren, 1998 zu einer – letztlich erfolglosen – Verfassungsbeschwerde und sogar zu Volksentscheiden führte.

Über 20 Jahre wurde in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz über die Sprachreform gerungen. Am 1. August 1998 trat sie dann in Kraft. Eine Übergangszeit, in der alte und neue Rechtschreibung als korrekt gelten, sollte zum 31. Juli 2005 enden.

Das Ziel der Reform: die Rechtschreibung zu systematisieren und die Zahl der Regeln deutlich zu verkleinern. Bei den Kommata gab es großzügige Kann-Bestimmungen. Substantivierte Adjektive oder Partizipien in festen Wortgruppen wurden jetzt großgeschrieben: im Argen liegen, im Dunkeln tappen. Wortfamilien sollten einheitlich geschrieben werden – daher zum Beispiel ein Vokalwechsel von überschwenglich zu überschwänglich, weil das Wort auf Überschwang zurückgeht. Und Fremdwörter sollten stärker ins System der deutschen Orthografie integriert werden: Künftig sollten Deutschsprechende Ketschup und Majonäse verzehren und ihr Geld ins Portmonee legen.

Noch heute: Unzufriedenheit

Warum heißt es Foto, aber Photon? „Einheitlichkeit sieht anders aus“, sagt Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache. Der ehemalige Lehrerverbandspräsident nannte sie „Schlechtschreibreform“, der langjährige Vorsitzende des Rechtschreibrates, Hans Zehetmair, sagte klar: „Nie wieder eine von oben verordnete Sprachreform.“ Mittlerweile haben selbst die meisten Zeitungen die neue Rechtschreibung übernommen – nicht immer aus Überzeugung, eher vor dem Hintergrund der Verbindlichkeit und Gleichmäßigkeit. Natürlich angewendet wird sie aber nur von denen, die jünger als 30 sind – „für viele Ältere ist sie immer noch ein Buch mit sieben Siegeln“, so Krämer. Ob drei f in „Schifffahrt“ nun ästhetisch sind oder nicht, darüber ließe sich streiten, aber warum es zwei Versionen von „daß/dass“ geben muss, leuchtet nicht ein. „Hier wurde eine Regel geschaffen, die dem Sprachempfinden der Menschen entgegenläuft“, sagt Krämer, „gesprochen wird es gleich, geschrieben jedoch unterschiedlich – da ist es nicht verwunderlich, dass bis heute viele Menschen die neue Rechtschreibung nur in Verbindung mit der Autokorrektur am Rechner nutzen, aber nicht, wenn sie von Hand einen Brief schreiben.“

Traurig ist es um Worte, die durch die neue Rechtschreibung nicht mehr auf ihren Ursprung hin verfolgt werden können, wie z. B. Portmonee (alt: „Portemonnaie“, aus dem Französischen, „Geldtasche“, ein Behältnis zum Tragen von Münzen), dass der Aussprache angepasst wurde. „So geht ein Stück weit Geschichte, Tradition und das Verständnis für die Verflechtungen von Sprache verloren“, bedauert Krämer.

Und heute geht es weiter mit der Diskussion um weibliche oder männliche Form, ob Gender Doppelpunkt, Unterstrich oder sonst etwas. Doch wenn wir wollen, dass unsere Sprache weiter lebt und praktikabel genutzt werden kann, müssen wir uns auf die Verständlichkeit besinnen. Sonst wird bald in Deutschland mehr Englisch als Deutsch gesprochen und geschrieben. Trotz Brexit.