Die Corona-Pandemie hat den Lebensmittel-Bringdiensten einen richtigen Hype beschert. Ob Einkäufe beim Discounter oder die Pizza: Fahrrad- oder Auto-Kuriere liefern schnell die bestellten Lebensmittel ins Haus. Dass dabei die Kuriere zu sehr geringen Löhnen und unter schlechten Arbeitsbedingungen ihren Dienst erbringen, können sich die Kunden nur schwer vorstellen. Denn wer als Kurier unterwegs ist, ist doch ständig an der frischen Luft und durch das Radfahren tut er noch viel für seine Gesundheit. Aber es gibt noch weitere Leidtragende. Luckx – das magazin hat recherchiert.
Geschäftsmodell
In Rekordzeit versprechen die neu entstandenen Lieferdienste die Belieferung ihrer Kunden mit Lebensmitteln. Sogar in 10 Minuten sind manche Lebensmittel ausgeliefert. Doch die Geschäftsmodelle der Lebensmittel-Lieferdienste sind anscheinend mit heißer Nadel gestrickt. Jedenfalls warnt Prof. Dr. Otto A. Strecker, Experte für Lebensmittelmarketing: „Seit mehr als 20 Jahren werden die immer gleichen Fehler wiederholt.“ Doch es ist offensichtlich zu viel Kapital auf der Suche nach Anlage. Die aktuellen Geschäftsmodelle gleichen vielfach gescheiterten Ansätzen teils bis ins Detail. „Es muss an der Jugend der Start-up-Unternehmer und an dem jugendlichen Leichtsinn der Investment-Banker liegen, dass sich keiner mehr an die Totalverluste aus den beiden letzten Jahrzehnten erinnert, resümiert der Bonner Experte, der seit der Jahrtausendwende das Thema forschend und beratend begleitet. 2001 legte der US-Pionier Webvan eine milliardenschwere Pleite hin. Anleger verloren bis zu 34 Dollar pro Aktie, 2.000 Beschäftigte ihren Job. Beim Platzen der Dotcom-Blase waren zuvor schon ähnliche Geschäftsmodelle von Streamline und weiteren Lebensmittel-Lieferdiensten gescheitert. Der lange als Vorreiter gefeierte Pionier Peapod konnte nur durch eine Übernahme durch Ahold knapp gerettet werden.
Gescheitere Unternehmen
In Deutschland ist die Liste der gescheiterten Versuche ähnlich lang. Schon zur Jahrtausend-Wende war mit der Direktkauf AG ein bundesweiter Anbieter am Start, der flächendeckende Lieferungen versprach. Sogar im Bio-Segment waren Spezialisten wie die Unitednature angetreten. Klassische Lebensmittelhändler setzten damals schon eine Belieferung aus den stationären Geschäften dagegen. Keines der Geschäftsmodelle war jemals erfolgreich. Ob Otto, Karstadt, Direktkauf, Kaufhof, Spar, Tegut, LeShop oder andere: Die Liste der eingestellten Versuche ist lang. Gäbe es Gräber für Unternehmen, ließe sich allein mit den verschiedenen Lebensmittel-Bringdiensten ein kleiner Unternehmensfriedhof füllen.
„Man braucht eigentlich nur etwas gesunden Menschenverstand und Kenntnis der grundlegenden Merkmale des Geschäftes“, so Strecker weiter, der mit der AFC Consulting Group Unternehmen aus Lebensmittelindustrie und -handel berät. „Für 1,80 Liefergebühr flitzt der Fahrradkurier in ausgewählten Stadtteilen einiger Millionenstädte also im Extremfall zehn Minuten zu nur einem Kunden und zehn Minuten wieder zurück zu dem Mini-Lager, wo die nächste Bestellung auf ihn wartet. Wie soll sich das rechnen, von der Qualität der Arbeitsverhältnisse und der Ressourceneffizienz der Logistik einmal abgesehen?“ In kaum einer Branche sind die Umsatzrenditen so gering wie im Lebensmittelhandel. Auch große Player wie Kaisers/Tengelmann oder real waren dem in den letzten Jahren nicht gewachsen. Hier wird das Geld bekanntermaßen im Einkauf verdient. Gegen die Einkaufsvolumina der großen Einzelhändler haben die spezialisierten Bringdienste keine Chance. Selbst, wenn die Handelsmarge auskömmlich wäre, um die Auslieferung zu subventionieren, so müssen darüber hinaus erhebliche Fixkosten verdient werden, die aus dem Geschäftsmodell einfach nicht zu bezahlen sind. Streuverluste der Marketingaufwendungen beispielsweise sind gigantisch, wenn nur einige Innenstadtlagen der Metropolen beliefert werden, dafür aber intensiv landesweit geworben werden muss. Die Kosten der Beschaffung und interne Distribution ebenso wie für Abschriften von Frischwaren sind meist größer, als die Gründer es erwarten.
Totalverlust möglich
„Wer in diese Geschäftsmodelle investiert, muss wissen, dass er einen Totalverlust erleiden kann“, warnt Strecker. Das Thema Auslieferung von Lebensmitteln ist seit jeher kein profitables Geschäft, sondern – wie seit hundert Jahren üblich – als Kundendienst für stationäre Händler sinnvoll. Diese binden ihre Kunden an sich und können im besten Fall etwas über diese lernen, das ihnen auch für das stationäre Geschäft nützt. Es sind also dann die Daten, die wertvoll sind und nicht die Margen aus dem Geschäft an sich.
Ansonsten lohnt sich die Lebensmittel-Lieferung nach wie vor für Spezialsortimente, zu denen es im stationären Handel oftmals kein breites Angebot gibt, etwa für Produkte mit besonderen gesundheitsbedingten Anforderungen, für Nahrungsergänzungsmittel oder für hochwertige Spezialitäten im Feinkost- oder Getränkebereich. Daraus lassen sich nur eben nicht solche Businesspläne herleiten, die den Investoren mehrstellige Milliardenumsätze in Aussicht stellen.
Sollten die Umsätze der Gastronomie-Lieferdienst nach der Corona-Krise zurückgehen, werden auch diese versuchen, in das Geschäft mit Lebensmittel-Lieferungen vorzudringen. Der Wettbewerb wird dann noch härter.
Strecker wundert sich aber nicht nur über die Investoren, sondern auch über die Kunden der Lieferdienste wie Gorillas oder Flink. Am Prenzlauer Berg in Berlin, in Hamburg-St. Georg oder in Köln Nippes sind es immer nur ein paar Schritte, um den Einkauf zu erledigen, der durch die kurzfristige Lieferung ersetzt werden soll. Gerade, wer auf Qualität der Lebensmittel setzt und bereit ist, so hochpreisig wie bei den Lieferdiensten einzukaufen, wird die Beschaffenheit der Avocado doch selber prüfen wollen, bevor er sie bezahlt. „Wenn ich wegen fehlender Frische-Artikel im Sortiment sowieso noch einmal vor die Tür muss, hat sich die Online-Bestellung ohnehin erledigt“, so der Lebensmittel-Experte.