Schon das tägliche Leben mit Beruf, Familie und Privatleben können viele Menschen nicht klaglos bewältigen. Nun kommt mit der Corona-Pandemie ein weiterer Faktor hinzu. Die damit verbundenen Beschränkungen nehmen vielen Mitmenschen die Möglichkeiten für einen persönlichen Ausgleich zu sorgen. Den Folgen ist luckx – das magazin nachgegangen.
Nebenwirkungen
Die anhaltenden Belastungen und Beschränkungen durch die Corona-Pandemie verursachen bei vielen Menschen Stress. Eine ‚Nebenwirkung‘, die schwerwiegende Folgen haben kann. „Bereits die Zahlen einer Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum ersten Lockdown waren beunruhigend“, stellt Fabian Heringhaus fest. Der Ergotherapeut im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) warnt davor, die Folgen länger anhaltender Phasen von Stress zu verharmlosen. Vielmehr gehe es darum, die Menschen frühzeitig zu sensibilisieren, aufzuklären und zu einem besseren Umgang mit kritischen Lebenslagen zu befähigen.
Was viele falsch einschätzen oder nicht wissen: Stress kann sowohl aus einer Über- als auch aus einer Unterforderung resultieren. Und beides kann zu Erkrankungen oder Störungen bis hin zu Depressionen führen. Der Ergotherapeut Heringhaus führt die aktuell auffällige Zahl junger Menschen an, die sich wegen ihrer akuten Depression in eine Klinik einweisen lassen. Eine im Dezember veröffentlichte Befragung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung untermauert dies: Der Anteil von Frauen bis 60 Jahre mit moderat bis schwer ausgeprägten depressiven Symptomen stieg bereits im ersten Lockdown deutlich von 6,4 auf 8,8 Prozent. Von zunehmendem Stress berichteten alle Alters- und Geschlechtsgruppen. „Das bestätigt, wie wichtig Aufklärung ist“, betont Heringhaus und wünscht sich eine intensivere, flächendeckende Informationskultur einerseits, Akzeptanz bei den Betroffenen selbst andererseits, so dass sie in einem frühen Stadium entsprechende körperliche Anzeichen von Stress erkennen und sich für professionelle Hilfe, unter anderem bei Ergotherapeut:innen, öffnen lernen.
Stresswarnsymptome
Dass Stress die körperliche Reaktion auf eine Über- oder Unterforderung ist, können oder wollen Betroffene nicht immer selbst realisieren. Auf seinen Körper zu hören und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen erscheint manchem unangenehm. Jedoch: Körperliche Anzeichen haben eine Bedeutung. So sind zum Beispiel Schmerzen grundsätzlich ein Alarmsignal und können auch ein Stresswarnsymptom sein. Anerzogene Verhaltensmuster oder Durchhalteparolen sind daher absolut fehl am Platz. Das Ignorieren von Kopf- oder Rückenschmerzen, Magenproblemen, Zähneknirschen, Verspannungen oder anderen Beschwerden wie Erschöpft- oder Ausgelaugtsein führt auf Dauer zu einer Verschlimmerung – sowohl der Beschwerden selbst als auch der seelischen Verfassung, denn auch Schmerzen selbst bereiten dem Körper Stress. Der erste Schritt sollte deshalb immer das medizinische Abklären sein, beispielsweise bei Haus- oder Facharzt. Sind die Symptome seelisch bedingt, stehen deutschlandweit unter anderem Ergotherapeuten, die im Bereich Psychosomatik und Psychiatrie spezialisiert sind, zur Auswahl.
Stressfaktoren herausfinden
Es ist davon auszugehen, dass sich durch die Bedingungen in der Pandemie wie Homeoffice, Kontaktbeschränkungen, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit bei vielen vermehrt soziale und/oder berufliche Stressoren zu einer Belastung auswachsen, die die Betroffenen auf Dauer nicht alleine bewältigen können. Soziale Stressoren sind beispielsweise Isolation, Konflikte oder ein negatives Familienklima; berufliche Stressoren Zeit- und Leistungsdruck, Monotonie, Über- oder Unterforderung.
Was gestresste Menschen im Laufe einer ergotherapeutischen Intervention ebenfalls lernen, ist: verstehen, dass es eine Schwelle gibt, an der sie an ihre persönliche Grenze kommen, weil sie zu viel Stress in sich aufgenommen haben. Überschreiten sie diese Grenze immer wieder oder dauerhaft, kann es zu Depressionen kommen. Um dem entgegenzuwirken, müssen Bewältigungs- und Schutzstrategien gefunden werden, die bereits bekannt sind oder für welche sich Betroffene begeistern können. Dabei müssen die Strategien nicht abgehoben sein. So können bekannte Aktivitäten zur Entspannung führen. Sei es regelmäßige Meditation, Yoga, Muskelrelaxation, Spaziergänge in der Natur oder sich beim Sport auspowern. Ebenso gut kann das Kaffeekränzchen mit der Mutter zur Beruhigung beitragen. Was beim Einen Stress nimmt, kann beim anderen Stress erzeugen. Und was das ist, muss herausgefunden werden.
Umfeldbetrachtung
Eine weitere, die Intervention unterstützende Ressource stellen Angehörige oder nahestehende Menschen dar. Das Umfeld ist eine wichtige, die eigenen Fähigkeiten verstärkende Quelle und spielt daher im Rahmen einer ergotherapeutischen Intervention nahezu immer eine Rolle. Sich mit Freunden oder Familie – im Moment verstärkt virtuell – weiterhin zu verabreden, ist essenziell. Gemeinsam Sport ausüben, sich austauschen und diskutieren, zusammen ein Feierabendbier trinken, sich gegenseitig mitziehen und aufeinander aufpassen sollte auch und gerade in Krisenzeiten stattfinden. Auch wenn es eine andere Qualität hat als bisher: digital ist vieles möglich.