Chancengleichheit

Eines der wesentlichen Ziele der Europäischen Gemeinschaft ist die Entwicklung der Chancengleichheit. In allen EU-Staaten sollen die gleichen Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung bestehen. Wesentliche Voraussetzung ist ein gut bezahlter Job. Um das zu ermöglichen, gibt es ein Wiederaufbauprogramm nach Corona, wie luckx – das magazin recherchierte.

Arbeitsmarktprobleme

Die EU-Länder haben ihre Arbeitsmarktprobleme im Rahmen der von ihnen zugesagten Reformen nur teilweise in Angriff genommen – und dies, obwohl sie als Gegenleistung Geld aus der nach der Corona-Pandemie eingerichteten, 650 Milliarden Euro schweren Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) erhalten haben. Dies geht aus einem aktuellen Bericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. Mit den ARF-Reformen seien zwar durchaus Ergebnisse erzielt worden, doch sei die Hälfte der Empfehlungen des Rates der EU entweder überhaupt nicht umgesetzt oder nur am Rande berücksichtigt worden. In einigen Ländern seien daher für die EU-Bürger besonders wichtige strukturelle Probleme nicht in Angriff genommen worden. Dazu gehörten etwa die Integration schutzbedürftiger Menschen in den Arbeitsmarkt oder die steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit.

Mit der ARF hat die EU erstmals die Umsetzung wirtschaftlicher und sozialer Reformen – unter anderem in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik – zur Bedingung ihrer finanziellen Unterstützung der Mitgliedstaaten gemacht. Um EU-Gelder zu erhalten, mussten sich die Mitgliedstaaten zu einer Reihe von Investitionen und Reformen verpflichten. Diese sollten dazu beitragen, „alle oder einen wesentlichen Teil“ der Herausforderungen anzugehen, zu deren Bewältigung der Rat der EU sie zuvor in seinen länderspezifischen Empfehlungen aufgefordert hatte.

Der Europäischen Rechnungshofs rügt die EU-Länder

„Brüssel nutzt die ARF-Mittel als Anreiz für die EU-Länder, wichtige Strukturreformen durchzuführen und ihre Volkswirtschaften widerstandsfähiger zu machen“, so Ivana Maletić, die als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für den Bericht zuständig ist. „Im Arbeitsmarktbereich wurden jedoch einige strukturelle Probleme, die für die Bürgerinnen und Bürger der EU besonders wichtig sind, mit den Reformen überhaupt nicht angegangen. Außerdem gibt es bisher bei rund der Hälfte der Reformen keine Belege dafür, dass sie zu greifbaren Ergebnissen geführt oder sich auf die Arbeitsmärkte ausgewirkt hätten.“ In ihre nationalen Aufbau- und Resilienzpläne nahmen die Mitgliedstaaten fast 100 Arbeitsmarktreformen auf, die unterschiedlich umfangreich und ehrgeizig waren. Mehrere Reformen haben nach Ansicht der Prüfer das Potenzial, strukturelle Herausforderungen zu bewältigen, wie z. B. die Reform der Arbeitslosenversicherung in Frankreich. Bei anderen – wie z. B. der befristeten Maßnahme „Sozialgarantie 2021″ in Deutschland – sei es jedoch eher unwahrscheinlich, dass sie größere Veränderungen bewirken können. Mit den Reformen seien nur 40 % der einschlägigen länderspezifischen Empfehlungen weitgehend umgesetzt worden, 26 % der Empfehlungen seien damit kaum berücksichtigt und 34 % gar nicht in Angriff genommen worden. Außerdem habe kein EU-Land die Empfehlungen für den Arbeitsmarkt im Rahmen der ARF-Reformen vollständig umgesetzt. Die Pläne von vier Mitgliedstaaten hätten gar keine Reformen zur Umsetzung der Empfehlungen vorgesehen, während weitere vier diese Empfehlungen immerhin im Wesentlichen berücksichtigt hätten.

Arbeitsmarktreformen unzureichend

Die Umsetzung der ARF sei noch im Gange, und viele Arbeitsmarktreformen müssten noch abgeschlossen werden. Daher sei möglich, dass entscheidende Ergebnisse der Reformen sich erst noch zeigen werden. Allerdings hätten die bereits abgeschlossenen Reformen bisher nicht dazu geführt, dass die EU-Kommission die Umsetzung bestimmter Empfehlungen entschieden positiver bewertet als zuvor. Die erwarteten Gegenleistungen seien mit den Reformen in aller Regel erbracht worden, sie hätten sich aber meist in der Verabschiedung neuer Gesetze erschöpft. Bei etwa der Hälfte der Reformen – z. B. in den Bereichen lebenslanges Lernen, Unterstützung von Arbeitsuchenden und Verbesserung der Arbeitslosenunterstützung – seien die Mitgliedstaaten hingegen nicht in der Lage gewesen, Ergebnisse nachzuweisen. Was schließlich die Auswirkungen der Reformen vor Ort betreffe, so sei es schwierig, diese zu bewerten, da es oft keine geeigneten Indikatoren gebe.

Die Prüfungsergebnisse machten deutlich, dass zeitnahe Informationen und eine weitere Bewertung der Wirksamkeit der ARF-Reformen erforderlich seien. Die Prüfer fordern die EU-Kommission auf, Regeln für die Bewertung der Ergebnisse von Reformen festzulegen, außerdem sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die wichtigsten Herausforderungen in Angriff nehmen, und zu überprüfen, ob die sogenannten Etappenziele und Zielwerte alle wesentlichen Teile der Reformen umfassen.

Bei allen Mängel, die bestanden und weiter bestehen, können wir uns glücklich schätzen, dass es in der EU ein Aufsichtsorgan gibt, die zum Wohle der Bevölkerung die Mängel benennt und deren Beseitigung fordert. Wenn wir uns in der Welt einmal umschauen, können wir insgesamt mit der EU zufrieden sein. Das heißt aber, dass die Beschlüsse auch umgesetzt werden müssen. Das müssen wir als Bürger auch einfordern. Denn die EU wird aus Steuermitteln der Bürger bezahlt.