Gesundheit entscheidet

Das Thema Schwangerschaftsabbruch geistert durch den Bundestag, weil eine anerkannte Rechtsprofessorin darüber eine eigene Meinung hat. Damit sie nicht mit ihrer Meinung künftige Entscheidungen in der bundesdeutschen Verfassung einbringt, wurde sie massiv persönlich angegriffen. Es gibt noch weitere Fälle in Deutschland, wie luckx – das magazin recherchierte.

Kirchliche Statements

Die Kirche ist für Hexenverbrennung, Kindesmissbrauch und Weltfremdheit bekannt. Die Hexenverbrennung fand zwar schon im Mittelalter statt. Der Kindesmissbrauch zieht sich bis in die Gegenwart und erst 1972 erkannte die Kirche an, dass sich der Erde um die Sonne dreht. Etwas, das der Universalgelehrter Galileo Galilei 1633 schon feststellte. Nun griff die Kirche wieder massiv ein, indem sie der Juristin Unterstellungen nachsagte. Angefeuert von Christlichen Bundestagsabgeordneten.

Was hier auf bundespolitischer Ebene als Eingriff in die staatliche Ordnung verstanden werden kann, ist im kleinen Lippstadter christlichen Krankenhaus an der Tagesordnung. Dort wurde dem Leiter der dortigen Frauenklinik, Prof. Dr. Joachim Volz, untersagt, medizinisch notwendige Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Doch der Arzt leistet Widerstand, um Frauen in Notlagen weiterhin helfen zu können. Sein Rechtsfall könnte viele Selbstverständlichkeiten in Frage stellen – nicht nur das kirchliche Arbeitsrecht, sondern auch die Rolle konfessioneller Träger in der Wohlfahrtspflege sowie die gesetzlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch und zur Fortpflanzungsmedizin.

Zum gesundheitlichen Wohl der betroffenen Frauen

Seit 2012 ist Joachim Volz Chefarzt der Frauenklinik in Lippstadt. Zudem betreibt er eine gynäkologische Praxis mit angeschlossenem Kinderwunsch-Zentrum im 50 Kilometer entfernten Bielefeld. Dreizehn Jahre lang hat Volz Paaren geholfen, gesunde Kinder auf die Welt zu bringen. Als verantwortungsbewusster Arzt nahm er aber auch Schwangerschaftsabbrüche vor, wenn dies medizinisch erforderlich war, etwa aufgrund einer gravierenden genetischen Schädigung des Fötus oder schwerwiegenden Komplikationen während der Schwangerschaft, die auch die Gesundheit der Mutter massiv beeinträchtigt hätten. Dies alles war unproblematisch, solange das Lippstädter Krankenhaus eine (liberale) evangelische Trägerschaft hatte. Doch nach der Ende 2024 (mit staatlicher Hilfe!) vollzogenen Fusion des evangelischen und des katholischen Krankenhauses der Stadt fand die Liberalität ein jähes Ende: Anfang 2025 wurde Volz angewiesen, ab Februar keine medizinisch erforderlichen Schwangerschaftsabbrüche mehr durchzuführen – weder im Lippstädter Krankenhaus noch in seiner Bielefelder Privatpraxis, da dies den besonderen Loyalitätspflichten des katholischen Arbeitsrechts widerspreche.

Ein Bischof entscheidet, was medizinisch notwendig ist

Viele Klinikchefs haben sich derartigen konfessionellen Dienstanweisungen mit der Faust in der Tasche unterworfen, nicht aber Volz. Er erklärte in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, er sei „nicht der Typ, der so etwas mit sich machen lässt“. Besonders zugesetzt hat ihm ein Fall, den er Anfang März 2025 betreute, als ihm bereits die Hände gebunden waren, ein Fall von Anenzephalie, einer schweren Fehlbildung, bei der dem Fötus ein großer Teil des Schädels und des Gehirns fehlt. Ähnlich dramatisch war ein Fall von Triploidie, einem Fötus mit dreifachem Chromosomensatz: Solche Föten sind nicht lebensfähig und steigern das Risiko, dass die Mutter verblutet oder eine Tumorerkrankung der Plazenta entwickelt. In solchen Fällen nicht helfen zu können, betrachtet Volz als „unterlassene Hilfeleistung“.

Nachdem die Klinikleitung selbst nach der Vorlage solcher Extremfälle hart blieb, sah Volz keine andere Möglichkeit, als vor Gericht zu ziehen und den Skandal der „katholischen Frauengesundheitsgefährdung“ in die Öffentlichkeit zu bringen. In Zukunft würde er Frauen mit extrem geschädigten Föten oder vorzeitigem Blasensprung in seiner Privatpraxis nicht mehr abweisen, sagt Volz. Alles andere sei mit seinem „professionellen Gewissen als Arzt“ nicht zu vereinbaren: „Ich habe in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht und bin zu einem Entschluss gekommen: Im Konfliktfall entscheide ich mich für die Gesundheit der Frauen – und gegen die Dogmen der Kirche.“ Das Risiko, von seinem Arbeitgeber gekündigt zu werden, nimmt er in Kauf, denn letztlich stehe „jeder Arzt vor der Gewissensentscheidung, was schwerer wiegt: die professionelle Verantwortung, Menschen in medizinischen Notlagen zu helfen, oder die Glaubensüberzeugungen religiöser Arbeitgeber, die einer rationalen Überprüfung kaum standhalten.“

Des Weiteren hält er es für „absurd, wenn ein Bischof oder kirchlicher Funktionär festlegt, was medizinisch vertretbar ist. Bei der Gerichtsverhandlung wurde gesagt: Ein Abbruch ist nur erlaubt, wenn die Mutter durch die Schwangerschaft stirbt. Das heißt übersetzt: Wir müssen eine Frau bis an den Rand des Todes bringen, bevor wir handeln dürfen? Das widerspricht allem, wofür wir Ärztinnen und Ärzte stehen.“

Ein Skandal, der wahrgenommen werden muss

Der Rechtsfall von Joachim Volz wird vom Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) betreut, das zuvor schon den Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel begleitet hat, der letztlich dazu führte, dass der „Ärzteeinschüchterungsparagraf“ 219a StGB gekippt wurde und eine breite Debatte zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs entstand. Michael Schmidt-Salomon, Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), die das ifw finanziert, sieht Parallelen zwischen beiden Fällen: „Es braucht Menschen wie Kristina Hänel und Joachim Volz, die den Mut und das Durchhaltevermögen aufbringen, um die Schweigespirale zu durchbrechen und die Öffentlichkeit auf Missstände aufmerksam zu machen. Ohne solche Vorreiter lassen sich überfällige rechtspolitische Fortschritte kaum auf den Weg bringen.“