Wachstumsbremse

Trotz fehlenden Wachstum, geringerer wirtschaftlicher Nachfrage, werden weiterhin Fach- und Arbeitskräfte gesucht. Ist das nicht ein Widerspruch? Es gibt sicherlich eine Vielzahl von Ursachen dafür. Eine ist der Wohnraummangel, wie luckx – das magazin recherchierte.

Fehlender Wohnraum

Sind die Bundesbürger bei der Suche nach Wohnraum verwöhnt? Schon seit Jahren steigt die genutzte Wohnraumfläche pro Nutzer. Darüber hinaus werden immer mehr Ausstattungsdetails nachgefragt. Auf der anderen Seite wollen Mieter immer weniger dafür bezahlen. Doch so funktioniert das nicht. Über 1,8 Millionen Wohnungen stehen leer. Davon sind eine Million Wohnungen, die mehr als 12 Monate leerstehen. Entweder, weil die Eigentümer es so möchten (eher der geringere Teil) oder weil diese Wohnung renovierungs- oder sanierungsbedürftig sind. Die weiteren rund 800.000 Wohnung stehen zur Nutzung bereit und sind vorübergehend frei aufgrund von Mieterwechsel. Doch Mieterwechsel finden aktuell wohl weniger statt als vorstellbar. So vermeldet eine Berliner Wohnungsgesellschaft mit 70.000 Einheiten gerade einmal 20 Wechsel pro Jahr.

Je nach Studie werden jährlich zwischen 300.000 und 600.000 neue Wohnung benötigt. Doch der Neubau von Wohnraum bewegt sich zwischen 200.000 und 300.000 fertiggestellten Einheiten pro Jahr. So entwickelt sich auch die Knappheit an Wohnraum zur Wachstumsbremse der deutschen Wirtschaft. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der EXPO REAL mit dem Titel „Wohnen im Lebenszyklus“. In der vom renommierten Pestel-Institut aus Hannover im Auftrag durchgeführten Untersuchung werden erstmals die aktuellen Zensusdaten zu Haushaltsgrößen, Altersgruppen und verfügbarem Einkommen miteinander verknüpft und wichtige wohnungspolitische Schlüsse gezogen.

Ohne Wohnraum kein Wachstum

„Unsere Studie zeigt, dass ausreichend verfügbarer Wohnraum und funktionierende Wohnungsmärkte als Wachstumsfaktoren für die Wirtschaft stark unterschätzt werden. Den Wohnungsmarkt aktiver zu gestalten, ist nicht nur eine soziale Frage, sondern auch ein dringendes wirtschaftspolitisches Gebot. Die Lösung der Wohnungsfrage ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass die Konjunktur in Deutschland wieder Fahrt aufnimmt – ohne Wohnraum wird es auch kein Wachstum geben“, sagt Claudia Boymanns, Exhibition Director der EXPO REAL. Mit der wissenschaftlichen Untersuchung setzt die Messe einen gezielten Impuls in der Debatte um die Lösung der akuten Wohnungsknappheit. „Der Wohnungsmarkt und insbesondere der akute Mangel an bezahlbarem Wohnraum sind derzeit die zentralen Gesprächsthemen der Immobilienbranche. Davon zeugen auch die vielen Vorträge und Diskussionsrunden in unserem Konferenzprogramm in diesem Jahr sowie unser neues Format Flexible Housing“, so Boymanns weiter.

Ohne bezahlbarem Wohnraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt

Matthias Günther, Geschäftsführer des Pestel Instituts und Autor der Studie, diagnostiziert in seiner Untersuchung einen gelähmten Wohnungsmarkt, der zunehmend auch den Arbeitsmarkt „erstarren“ lässt: „In Defizit-Regionen, in denen die Nachfrage das Wohnangebot massiv übersteigt, können Haushalte mit niedrigem Einkommen faktisch nicht mehr umziehen, weil die Differenz zwischen Angebots- und Bestandsmieten ein für diese Einkommensgruppe nicht mehr bezahlbares Ausmaß angenommen hat. Und auch die dringend benötigte qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland wird durch die massive Unterversorgung mit Wohnraum stark behindert. Die große Arbeitskräftelücke vieler Industrie- und Dienstleistungsbranchen kann sich dadurch nicht schließen“, erklärt der langjährig erfahrene Wohnungsmarktforscher.

Hinzu kommt: Die Wohneigentumsquote in Deutschland nimmt über alle Altersgruppen seit Jahren stetig ab. Die Folgen für die Vermögensverteilung seien fatal, so der Wohnungsmarktexperte. Die Wohnstudie macht deutlich, dass die Ungleichheit beim Thema Wohnen in Deutschland insgesamt immer weiter zunimmt. Die verfügbare Wohnfläche je Einwohner war noch nie so hoch wie heute und gleichzeitig herrscht in vielen Regionen Wohnungsmangel.

Hoher Fehlbestand

Derzeit fehlen laut Studie allein in Westdeutschland etwa 1,2 Millionen Wohnungen, wenn man davon ausgeht, dass der Langzeitleerstand nicht mehr angeboten wird. Dieses Wohnraumdefizit muss sich auflösen, um die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt wieder anzukurbeln. „Die Lage spitzt sich zu. Es reicht nicht mehr aus, einzelne Segmente zu fördern. Der Wohnungsbau insgesamt muss stimuliert werden, wenn das Wohnungsproblem gelöst werden soll“, sagt Günther. Sowohl der soziale als auch der Wohnungsbau durch Projektentwickler und der Eigenheimbau müssen auf breiter Front belebt werden. Ein großer Schritt könnte gegangen werden, wenn der Staat seine Vorteile in der Refinanzierung an den Wohnungsbau weitergeben würde, und zwar sowohl an den Mietwohnungsbau als auch an den Bau von Eigentumswohnungen, heißt es in der Studie.

In einer Baugenehmigung hat bisher keine gewohnt“

Qualitativ ausgerichtete Förderprogramme allein können das Problem nicht lösen. Förderungen, die gegenüber den in Deutschland ohnehin schon sehr hohen Standards ‚noch bessere‘ Wohnungen bauen lassen, seien in dieser Situation nicht zielführend. „Es sollte auch egal sein, ob die Gebäude aus Beton, Stahl oder Holz sind – Hauptsache ist, dass die Wohnungen gebaut werden. Sonst gibt es keine positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland“, erklärt Studienautor Günther. „Ein wesentlicher Bestandteil der Transformation des Gebäudesektors liegt in der Deckung des nach der Sanierung verbleibenden Energiebedarfs durch regenerative Quellen. Die Kosteneffizienz der Umstellung auf alternative Systeme der Wärmebereitstellung – zu nennen ist insbesondere die Wärmepumpe – ist weit höher als eine sehr anspruchsvolle energetische Sanierung. Die Bestandssanierung darf nicht aufgegeben werden, aber die zu erreichenden Standards hinsichtlich des Wärmebedarfs sind zu hinterfragen.“ Ob der von der Bundesregierung propagierte „Bauturbo“ kurzfristig erfolgreich sein wird, ist nicht abzusehen. Die damit verbundenen Anforderungen wirken eher mittel- und langfristig. Wichtig ist, schneller bei den Genehmigungsverfahren zu werden. Denn, so Günther: „In einer Baugenehmigung hat bisher keine gewohnt“.