Klimawandel bei der Ernährungsindustrie unbekannt

Die Nahrungsmittelindustrie versucht immer wieder den Verbrauchern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Dieser, so jedenfalls die Aussagen des Verbandes während der Grünen Woche 2020, solle doch gefälligst sich nachhaltig verhalten. Das ist natürlich ein dummdreistes Argument, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken, nachhaltige Angebote den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu machen. Seit Jahren sträubt sich der Verband gegen eine Lebensmittelampel, verklausuliert die Produktbeschreibungen, um von umweltbelastenden Zusatzstoffen abzulenken. So ist zum Beispiel den wenigsten Verbrauchern bekannt, dass in industriell hergestellten Backwaren Enzyme am Werk sind, um die maschinelle Teigverarbeitung zu ermöglichen. Doch diese Enzyme versuchen beim Verbraucherinnen und Verbrauchern Beschwerden oder deren Wirkungen sind noch unbekannt. Doch eine Auszeichnungspflicht dafür besteht nicht. Das ist nur ein winziger Aspekt im großen Dschungel, welches die Nahrungsmittelindustrie auf der Agenda hat.

Dabei steht die Lebensmittelindustrie vor einer Vielzahl von Aufgaben und Trends, die neue Herausforderungen stellt. Neben sich wandelnden Präferenzen der Verbraucher und neuen regulatorischen Anforderungen hat auch der Klimawandel direkte Auswirkungen auf ihre Umsätze und Gewinne. Gleichzeitig muss das Angebot an Lebensmitteln vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung steigen. Klimabedingte Risiken könnten die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmen bedrohen und setzen das Geschäftsmodell der Branche unter Druck. Zu diesen Erkenntnissen kommt die Analyse der Unternehmensberatung PwC „The Food Industry in the Spotlight of Climate Change“.

Auswirkungen des Klimawandels

Die Folgen des Klimawandels spürt die Branche bereits sehr deutlich: Im Dürresommer 2018 sank der landwirtschaftliche Ertrag für Getreide pro Hektar laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft um 16 Prozent im Vergleich zum Drei-Jahres-Durchschnitt der vergangenen Jahre. „Die Lebensmittelindustrie sollte Klimarisiken zukünftig explizit in alle ihre strategischen Entscheidungsprozesse integrieren. Die Auswirkungen des Klimawandels werden sich im Nachfrageverhalten und in den Kostenstrukturen gleichermaßen niederschlagen – deutlich stärker als das heute schon der Fall ist“, mahnt Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland.

Es lassen sich zwei Arten von Risiken unterscheiden, die durch die Veränderungen des Klimas entstehen: Die physischen Risiken wie lange Dürreperioden oder Wirbelstürme betreffen in erster Linie die landwirtschaftliche Produktion. Extreme Wetterereignisse haben dabei direkte Auswirkungen auf Ernten und Nutztiere, können aber auch zu Unterbrechungen der Lieferkette führen und den Produktionsprozess behindern – vom Anbau bis in den Supermarkt. Darüber hinaus muss sich der Lebensmittelhandel genau wie die Hersteller auf sogenannte transitorische Risiken vorbereiten, die sich aus dem Übergang in eine CO2-arme Wirtschaft ergeben. Die Einführung eines Preises auf CO2-Emissionen lässt beispielsweise die Kosten für Energie und Rohstoffe steigen.

Szenario-Analyse

Einen guten Anhaltspunkt für die Berücksichtigung von Klimarisiken liefern die 2017 veröffentlichten Empfehlungen der „Task Force on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD). Das Rahmenwerk gibt Handlungsempfehlungen, wie Unternehmen die Folgen des Klimawandels konsistent in ihre Berichterstattung integrieren können. Die TCFD nennt die Szenario-Analyse dabei als hilfreiches Werkzeug, um Risiken und Chancen in Bezug auf das Klima besser zu verstehen und die Folgen abzuschätzen.

Mit traditionellen Methoden ist es nicht möglich, die Folgen des Klimawandels auf die Geschäftsmodelle der Nahrungsmittel- und Getränkehersteller greifbar zu machen. Szenario-Analysen helfen Unternehmen dabei, die Auswirkungen der Erwärmung von Erde und Ozeanen auf die finanzielle Performance zu analysieren und rechtzeitig widerstandsfähige Lösungsansätze zu entwickeln“, so die Einschätzung von Dr. Nicole Röttmer, Partnerin und Climate Lead bei PwC Deutschland.

Klimabezogene Risiken

Auch der regulatorische Druck zur Szenario-basierten Klimaberichterstattung steigt: Die Unterzeichner der Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren der Vereinten Nationen (United Nations Principles for Responsible Investment, PRI) müssen bereits ab 2020 über Klimaindikatoren berichten, die sich auch mit der Anwendung einer Szenario-Analyse befassen. In ihrem Statusbericht aus dem Jahr 2019 stellt die TCFD allerdings fest, dass nur 45 Prozent der untersuchten Unternehmen aus Landwirtschaft und Nahrungsmittelbranche bereits zu den Auswirkungen klimabezogener Risiken und Chancen auf ihr Geschäft, ihre Strategie und Finanzplanung Rechenschaft ablegen. Lediglich 4 Prozent treffen dabei eine Aussage zu verschiedenen Klimaszenarien.

Integration klimabezogener Risiken

Eine Szenario-Analyse von PwC zeigt beispielhaft und stark auf spezifischen Annahmen basiert die Auswirkungen für die Lebensmittelindustrie auf, wenn sich die Erde um zwei Grad erwärmt. Transitionsrisiken können sich dabei unterschiedlich auf die Performance von einzelnen Unternehmen und Produktgruppen auswirken. Zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels sind umfangreiche Policy-Maßnahmen notwendig, die sich regional stark unterscheiden könnten. Auf Basis der 2-Grad-Szenario-Annahmen der International Energy Agency könnte in Europa und Nordamerika ein zu anderen Regionen vergleichsweise hoher CO2-Preis von bis zu 100 US-Dollar pro Tonne zu Wettbewerbsnachteilen und einem Margenverlust führen. Dies ist allerdings nur einer von verschiedenen Treibern. Steigende Kosten für Elektrizität und Rohstoffe könnten laut der Analyse die Gesamtkosten der Produktion in Europa bis 2030 um fast 30 Prozent erhöhen und sich negativ auf die Entwicklung des kompletten Sektors auswirken, wenn Unternehmen ihr Handeln nicht aktiv im Kontext möglicher Folgen des Klimawandels gestalten.