In vielen Branchen und in der Bevölkerung wird das Thema diskutiert: Mikroplastik. Das Problem an der ganzen Sache ist: Mikroplastik ist nicht sichtbar. Für manche unserer Mitmenschen heißt das dann auch: Was nicht sichtbar ist, gibt es nicht. So eine Einstellung erinnert eher an das Verhalten von Kleinkindern, die die Hand vor die Augen halten und dann nicht mehr gesehen werden können (ein Schelm, wer dabei Parallelen mit dem Corona-Virus feststellen sollte). Nun ist es aber einer Gruppe von Absolventen der TU Wien gelungen, das Mikroplastik aufzuspüren und sichtbar zu machen.
Umweltgefahr
Mit freiem Auge kann man sie nicht sehen, aber sie können trotzdem Schaden anrichten: Die winzigen Partikel, aus denen Mikroplastik besteht, sind eine Gefahr für die Umwelt. Man findet sie im Meer, aber auch im Boden, im Klärschlamm, oder sogar in Lebensmitteln.
Um die Gefahr, die von Mikroplastik ausgeht, richtig einschätzen zu können, muss man es zunächst genau charakterisieren: Wie viele Partikel sind in einer bestimmten Probe enthalten, wie groß sind sie, und aus welcher Art von Kunststoff bestehen sie? Bisher war es in der Praxis kaum möglich, all das rasch und zuverlässig herauszufinden. Eine neue einfache, kostengünstige und präzise Analysetechnik hat nun die Firma Purency entwickelt, ein Unternehmen mit Wurzeln an der TU Wien. Die Proben werden mit elektromagnetischer Strahlung in einem breiten Frequenzbereich bestrahlt, Machine Learning-Algorithmen ermitteln dann die Zusammensetzung des Mikroplastiks in der Probe.
Rasche Analyse auch für kleine Partikel
„Unser Wissen über Mikroplastik beruht bisher eher auf größeren Partikeln. Über Plastikteilchen mit einer Größe von weniger als 100 Mikrometer wissen wir immer noch sehr wenig – ganz einfach deshalb, weil bisher die Datenauswertung nicht zufriedenstellend war“, sagt Benedikt Hufnagl. Er studierte Technische Chemie und Verfahrenstechnik an der TU Wien und gründete dann gemeinsam mit zwei anderen TU-Alumni und einer Betriebswirtin die Purency GmbH. Unterstützung dabei gab es vom Innovation Incubation Center der TU Wien. „Unser Ziel ist es, die Analyse von Mikroplastik zu verbessern und auf das Niveau von Routineanalytik zu heben.“ Purency sucht die Kooperation mit Laboren, die bereits Mikroplastik analysieren oder dies künftig tun wollen, mit Spektrometerherstellern, mit der Lebensmittelindustrie und mit Umweltbehörden.
Unterschiedliche Ansätze wurden bisher verfolgt, um Mikroplastik nachzuweisen. Einer davon ist die FTIR-Spektrometrie (Fourier-Transform-Infrarot-Spektrometrie). Dabei wird die Probe mit elektromagnetischer Strahlung im Infrarotbereich beleuchtet – allerdings verwendet man nicht wie bei vielen anderen Spektrometern immer nur eine bestimmte Wellenlänge, sondern man nutzt viele Wellenlängen gleichzeitig. Diese Wellen überlagern sich auf komplexe Art miteinander, die daraus resultierenden Wellen werden gemessen – sie ergeben einen charakteristischen „Fingerabdruck“ der untersuchten Probe.
„Die große Herausforderung ist es nun, die gewonnenen Daten richtig zu interpretieren“, sagt Benedikt Hufnagl. „Bisher verwendete man dafür in erster Linie datenbankbasierte Ansätze. Diese sind für große Datenmengen aber nur bedingt geeignet und benötigen häufig langwierige Nachbearbeitung. Die Auswertungen sind dann schlecht vergleichbar, und detaillierte sowie nachvollziehbare Aussagen sind kaum möglich.“
Machine Learning
Purency setzt daher auf einen neuen Weg: Die Daten werden mit Hilfe von Machine Learing Algorithmen ausgewertet. Dadurch wird es möglich, die Anzahl, Art und Größe der Partikel verlässlich zu bestimmen. In kurzer Zeit können große Datenmengen analysiert werden. „Das Spektrometer rastert die gesamte Probe ab und für jedes einzelne Pixel wird ein Wellenlängenspektrum aufgenommen“, sagt Hufnagl. „So ergeben sich Bilder mit einer Million Spektren und 5 GB Größe. Trotzdem kommt unsere Software mit üblichen Office-PCs aus.“
Mehr als 20 Polymerarten können unterschieden werden, Partikel mit einer Größe von nur 10 Mikrometern können erkannt werden – die Grenze wird nur durch das Auflösungsvermögen des verwendeten Messgeräts gesetzt, nicht durch die Datenverarbeitungsmethode. Das Ergebnis ist eine ausführliche Tabelle, in der alle vorhandenen Polymerarten nach Partikelgröße und Anzahl dargestellt werden – sie liegt innerhalb von etwa zehn Minuten vor.
„Unsere Methode läuft automatisch ab und kommt ohne aufwändige manuelle Nachbearbeitung aus – das geschulte Personal kann sich auf andere Aufgaben konzentrieren. Und sie ist schnell.“, sagt Benedikt Hufnagl. Besonderer Wert wurde auch darauf gelegt, dass die Ergebnisse exakt reproduzierbar sind – mehrmalige Analysen liefern zuverlässig dieselben Ergebnisse. Der Microplastics Finder ist vielseitig einsetzbar, sogar für stark verschmutze Umweltproben, wie etwa Klärschlamm.