Baustelle

Gerade jetzt zur Reisezeit sind wieder viele Urlaubsreisende von den Baustellen genervt. Geschwindigkeitsbeschränkungen, Fahrspurreduzierungen, Überholverbote: Alles Einschränkungen, die den Start in den Urlaub und die Rückreise zur Tortur werden lassen. Und Baustellen gibt es nicht nur auf der Autobahn. Auch mitten in der Stadt oder auf dem Land führen sie zum Chaos. Das so etwas nicht sein muss, hat luckx – das magazin recherchiert.

Kostentreiber

Bis zum Jahr 2030 planen europäische Regierungen jährlich rund 100 Milliarden Euro für den Bau neuer Straßen auszugeben. Doch dabei wird es nicht bleiben. Denn immer wieder kommt es zu Bauunterbrechungen, mangelhafte Planung und fehlenden Material und Personal. Doch das muss nicht sein. Denn dem traditionell eher innovationsarmen Straßenbau steht in den nächsten Jahren eine Revolution bevor: Durch den Einsatz digitaler Technologien können die Kosten für den Bau neuer Straßen um 30% reduziert werden. Bei einem jährlichen Investitionsvolumen von 100 Milliarden Euro bis 2030 alleine durch europäische Länder, sind somit Einsparungen von rund 30 Milliarden Euro im Jahr möglich. Zu diesem Ergebnis kommen Experten von McKinsey & Company und von Oxford Global Projects in einer aktuellen Studie mit dem Titel „Road work ahead”. Für ihre Analyse haben die Unternehmensberatung und der führende Think Tank für das Management von Megaprojekten alle weltweit relevanten Studien zu Trends im Straßenbau ausgewertet und mehr als 30 Experten befragt.

Der größte Kostentreiber in der Straßenbau-Branche ist der Faktor Geschwindigkeit. „Von der Entscheidung zum Neubau bis zur Fertigstellung einer Straße mit 88 Fahrspurkilometern vergehen im Schnitt 5,5 Jahre”, sagt Sebastian Stern, Seniorpartner von McKinsey und Co-Autor der Studie. Während der Bauarbeiten müssten Maschinen angemietet, Arbeiter bezahlt und bestehende Straßen gesperrt werden – das koste viel Geld, erst Recht, wenn die Bauzeit teilweise doppelt so lange dauere, als ursprünglich geplant. Im Schnitt übersteigen die Kosten der Projekte das veranschlagte Budget um 20%. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass sich diese kostenintensiven Langzeit-Baustellen in Zukunft vermeiden lassen: „Durch den Einsatz digitaler Technologien lässt sich die durchschnittliche Bauzeit einer Straße um 50% reduzieren”, sagt Stern.

Bauprozess beschleunigen

Bereits vor der Entscheidung zum Neubau einer Straße könnte auf aufwendige Bedarfsanalysen verzichtet werden, indem Behörden auf anonymisierten Geo-Daten von Smartphones und Navigationssystemen zurückgreifen könnten. Industrieexperten schätzen, dass sich so das Berechnen verschiedener Straßenparameter auf einen Monat begrenzen lasse. Stehe der Beschluss zum Neubau, könnten innovative Technologien die aktuell noch bis zu einem Jahr andauernde Konstruktionsphase auf zwei Monate verkürzen. Bereits heute würden zum Beispiel Landschaften mit Lasern gescannt und dadurch exakte Modelle der Gelände angefertigt. Mit diesen und weiteren Daten können Ingenieure die Straße in einem Modell virtuell nachbauen. „Mit Hilfe des digitalen Zwillings lassen sich eventuelle Schwierigkeiten beim Bau vorausahnen und somit vermeiden”, sagt Bent Flyvbjerg, Vorstandsvorsitzender des Oxford Global Projects und Vorsitzender des Major Programme Managements an der Saïd Business School der Oxford University. Sind die Planungen abgeschlossen, könnten die Bauarbeiten beginnen: Diese könnten durch automatisierte Prozesse und neuartige Materialien erheblich beschleunigt werden. Alles in allem rechnen die Autoren mit einem Rückgang der Kosten von zur Zeit rund 2 Mio. US-Dollar auf 1,6 Mio. US-Dollar pro Straßenkilometer.

Sensoren machen die Straßen intelligent

Doch die Straßen von morgen werden nicht nur deutlich günstiger sein als aktuell, sondern auch intelligent: „Unser Straßennetz wird sich in den nächsten Jahrzehnten von einem passiven Medium, zu einem Mess- und Leitsystem entwickeln, dass mit den PKW kommuniziert”, erklärt Flyvbjerg. Dazu werden Sensoren in neu zu bauende Straßen eingesetzt oder um bereits bestehende Straßen herum positioniert. Weil Autos dadurch deutlich näher beieinander fahren könnten („Platooning”), könnte das Straßennetz um bis zu 50% effektiver genutzt werden – Staus könnten damit Geschichte sein.

Damit die Sensoren in der Straße nicht kaputt gehen, müssen sie lange in einem guten Zustand bleiben – gleichzeitig werden wichtige Baustoffe wie zum Beispiel Sand immer knapper. Die Lösung für diese Herausforderungen könnten neuartige Baumaterialien wie Kunststoff sein. Dazu eignen sich beispielsweise Plastikpeletts, die der Asphaltmasse beigemischt werden. „Erste Versuche aus den Niederlanden zeigen, dass diese Straßen bis zu 60% robuster sind als herkömmliche Straßen”, sagt Stern. Ein weiterer Vorteil: Mit der Methode könnten schon bald hunderttausende Tonnen von Kunststoffmüll recycelt werden.

Zur Methodik: Die Analyse entstand in Zusammenarbeit zwischen der Unternehmensberatung McKinsey und der Oxford Global Projects, einem auf Großprojekte spezialisierten Unternehmen. Über 18 Monate arbeiteten Wissenschaftler beider Institutionen zusammen, um die Zukunft des Straßenbaus zu untersuchen.