Es war 1983. Neue deutsche Welle-Zeit. Waren es schon damals die Vorzeichen einer Zeitenwende? Denn die Band „Geier Sturzflug“ steigerte das „Bruttosozialprodukt“ und brachte dies mit stöhnenden Stechuhren in Verbindung. Die Zeit der Stechuhren soll nun wieder zurückkommen, wie luckx – das magszin recherchierte.
Arbeitszeiterfassung
Ob nun auch die Steigerung des Bruttosozialprodukt damit einhergeht, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung für Unternehmen in Deutschland nicht erklärt, aber dafür zur Pflicht gemacht. Dieses Urteil wird auch als Paukenschlag bezeichnet, denn die Pflicht gilt ab sofort. Unternehmen, die bisher auf Vertrauensarbeitszeit gesetzt haben oder bisher keine Möglichkeiten geboten haben, stehen jetzt unter Druck.
Bereits im Mai 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Arbeitgeber in der EU ihren Mitarbeitern eine Möglichkeit bieten müssen, um ihre Arbeitszeiten „objektiv, verlässlich und zugänglich“ erfassen zu können. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete in der Gerichtsverhandlung: „Zeiterfassung ist auch Schutz vor Fremdausbeutung und Selbstausbeutung.“ Nach § 16 des Arbeitszeitgesetzes galt in Deutschland bisher nur, dass Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden müssen. Eine übergreifende Verpflichtung für Arbeitgeber gab es bisher jedoch nicht. Selbst nach dem EuGH-Urteil vor drei Jahren ist in Deutschland zunächst nichts passiert, das Bundesarbeitsgericht hat mit der neuerlichen Entscheidung nun aber nachgezogen.
Unklare Entscheidung
Dieses Urteil wirft aktuell noch viele Unklarheiten auf und lässt Spielraum in der Auslegung. Die Pflicht zur Zeiterfassung ist beschlossen, aber es fehlen Gesetze, die konkrete Regelungen definieren. Offen ist, wie es zukünftig um die Vertrauensarbeitszeit steht. Oder ob dies auch für leitende Angestellte Anwendung findet, die oft selbstbestimmt arbeiten dürfen. Müssen Zeiten detailliert erfasst werden oder muss nur die Möglichkeit zur Erfassung gegeben sein? Welche Konsequenzen drohen Arbeitgebern, wenn sie die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ignorieren? Diese und weitere Fragen können erst später beantwortet werden, wenn die gesetzliche Grundlage konkretisiert und angepasst wird. Fest steht aber: wer bisher keine Zeiterfassungsmöglichkeit bietet, macht sich jetzt anfechtbar.
Fachleute rechnen damit, dass das BAG-Grundsatzurteil weitreichende Auswirkungen auf die bisher in Wirtschaft und Verwaltung tausendfach praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle bis hin zu mobiler Arbeit und Homeoffice haben kann, weil damit mehr Kontrolle nötig ist. Auch in den sozialen Netzwerken ließen hitzige Diskussionen nicht lange auf sich warten. Das Urteil wird als Widerspruch zum Thema „New Work“ – der modernen Arbeitswelt – gesehen, die sich gerade in den vergangenen Jahren zu mehr Flexibilität gewandelt hat. Die Unsicherheiten der Arbeitnehmer sind nachvollziehbar. Nicht zu vergessen ist jedoch, dass wir in Zeiten digitaler Transformation leben und arbeiten, in der moderne Zeiterfassungsmethoden zur Verfügung stehen. Mit digitalen HR-Systemen sind viele Eingabemöglichkeiten wie Buchungen per App auf dem Handy, über Chip-Terminals oder am Arbeitsplatzcomputer geboten. Somit ist nebensächlich, ob aus dem Homeoffice oder dem Büro, auf der Baustelle oder von unterwegs gearbeitet wird.
Digitalisierung
Im Vordergrund des Urteils steht der Schutz von Arbeitnehmern vor Fremd- und Selbstausbeutung. Sowohl die wöchentliche Höchstarbeitszeit als auch vorgesehene Ruhezeiten waren bislang nicht überall eindeutig nachweisbar und können so besser eingehalten werden. Gerade bei Vertrauensarbeitszeit sammeln sich häufig unbezahlte Überstunden an, da die Mitarbeiter das Vertrauen beim Arbeitgeber nicht ausnutzen wollen und tendenziell mehr, als zu wenig leisten. Für Arbeitnehmer und auch für Arbeitgeber schafft das Urteil eine transparentere Basis. Die Hoffnung besteht in einer Gesetzesausrichtung, die sowohl die Dokumentationspflicht beinhaltet, als auch flexible Arbeitszeitmodelle weiterhin ermöglicht.
Unternehmen, die bisher keine Zeiterfassung bieten, stehen nun vor der Herausforderung, eine passende Lösung zu implementieren, was im ersten Schritt mit Kosten und Ressourcen verbunden ist. Zeitgleich stellt die Pflicht eine Chance zur Digitalisierung im Personalmanagement dar. Im Zuge der Zeiterfassung können weitere HR-Prozesse auf den Prüfstand gestellt und optimiert werden. Von der ersten Zeiterfassung bis zur letzten Lohn- und Gehaltsabrechnung, von der Reisekostenabrechnung bis hin zur Urlaubsplanung – mit Softwarelösungen können Unternehmen für smarte und effiziente Personalverwaltungsprozesse sorgen. Für die Arbeitszeiterfassung selbst gibt es viele verschiedene Wege zu dokumentieren. Die elektronische Dokumentation ist sicherlich die einfachste und gleichzeitig sicherste Form.