Suchtverhalten

Alkohol, Zigaretten, Spielen und viele weiteren Süchte sind uns allen bekannt. Doch von einer eher unscheinbaren Entwicklung werden wir alle überrascht: Digitales Suchtverhalten. Seit Jahren versuchen Jugendschutzorganisationen diese Sucht bei Kindern und Jugendlichen zu bekämpft. Nun kommen immer mehr Erwachsene damit in Kontakt, wie luckx – das magazin recherchierte.

Digitales Suchtverhalten

Nach Pandemie und Lockdowns suchen immer mehr Erwachsene mit digitalem Suchtverhalten psychosomatische Spezialambulanzen um Hilfe auf. Die Betroffenen verbringen acht bis zehn Stunden täglich mit Chatten, sozialen Netzwerken, Computerspielen, Internet-Pornografie oder Online-Shopping und vernachlässigen wichtige Lebensbereiche – vielen droht Arbeitsplatzverlust, Trennung oder Verschuldung. Spezialeinrichtungen wie die Ambulanz für Spielsucht an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz registrieren seit der Pandemie gestiegene Zahlen von Patientinnen und Patienten mit digitalen Süchten. „Während der Lockdowns brachen gewohnte Strukturen weg, und manche füllten die Leerlaufzeiten mit Internetanwendungen, die sich zur Abhängigkeit entwickelten“, berichtet Dr. sc. hum. Dipl.-Psych. Klaus Wölfling. „Seit 2021 verzeichnen wir einen Zuwachs von 25 Prozent bei den Behandlungen von Erwachsenen im Alter von 30 bis 67 Jahren“, erläutert der Leiter der Ambulanz für Spielsucht. „Die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt.“

Warnzeichen

Bis in das Rentenalter reiche das Klientel, das jetzt behandelt werde. Gemein ist den Betroffenen der Kontrollverlust, ein Merkmal jeder Sucht. „Sie kommen in die Ambulanzen und sagen: Ich schaffe es nicht mehr, meinen Internetkonsum zu kontrollieren“, so Wölfling. Viele berichten über die zwanghafte Angst, etwas zu verpassen, die „Fear of missing out“ (FOMO). „Abhängige können dann etwa nicht mit dem Egoshooter aufhören, weil sie fürchten, ihren Spielstand zu verlieren und aus Spielergruppen herauszufallen“, erläutert der Psychologe. Es kommt zur Vernachlässigung von Beziehung oder Arbeit, zu Krisen und Konflikten. „Solche negativen Veränderungen sind deutliche Warnzeichen für ein Suchtverhalten“, so Wölfling. Aktuelle Zahlen, wie viele Menschen unter digitalen Süchten leiden, liegen nicht vor – die letzte repräsentative Studie stammt aus 2011 und identifizierte ein Prozent der Bevölkerung. Wissenschaftlich ist Suchtverhalten jedoch klar umrissen. „Über mindestens zwölf Monate müssen fünf oder mehr von insgesamt neun psychischen Kriterien erfüllt sein“, erläutert Wölfling. Auch bestätigen Hirn-Scans, dass die Internetaktivität das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert – ein typisches Suchtmuster. „Wir sehen im Ergebnis von MRT-Studien den Dopaminschub, wenn ein Like auf einen Post erfolgt oder bei Nachrichten das blaue Häkchen für ‚gelesen‘ erscheint“, berichtet der Psychologe. „Diese Erregung wird immer wieder gesucht, es entsteht ein Teufelskreis.“ Inzwischen sind Internet-, Computer- oder Glücksspielsucht im ICD-11 als Suchterkrankungen aufgenommen worden und damit der Kokain- oder Alkoholabhängigkeit gleichgestellt. Im Jahr 2023 soll dies auch für Deutschland gelten.

Aus Einsamkeit internetsüchtig

Es gibt Präferenzen bei digitalen Süchten. Bei der Generation Y etwa, den zwischen 1980 und 1999 Geborenen, sind vor allem Online-Rollenspiele und Egoshooter beliebt. „Sie sind mit diesen Spielen aufgewachsen“, berichtet Wölfling. Generell nutzen Männer tendenziell häufiger Online-Pornografie, Computer- oder Glücksspiele, während bei Frauen eher Online-Kaufsucht, Glücksspiele, soziale Netzwerke und Messenger dominieren. „Im Rentenalter ist Einsamkeit ein großer Treiber für Digitalsüchte, dann wird über Spiele ein soziales Netzwerk gefunden“, stellt Wölfling fest. Dass sich eine Sucht entwickelt hat, fällt häufig den Kindern der Rentner auf. „Sie registrieren, dass die Eltern nicht mehr abwaschen oder einkaufen gehen“, schildert der Mainzer Diplompsychologe.

So ist zur Prävention auf ausgedehnte Ruhephasen zu achten – und das nicht nur zur Schlafenszeit. „Wir benötigen Ruhephasen für unsere gesundheitliche und seelische Balance“, sagt der Wissenschaftler. „Diese Phasen für sich selbst zu finden und umzusetzen, ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben in unserer modernen digitalen Zeit.“ Darüber hinaus können Apps wie „One Sec“ sinnvoll sein, die der Nutzung sozialer Netzwerke vorgeschaltet werden. „Sie ploppen auf, wenn man in das soziale Netzwerk eintauchen will und rufen uns die Möglichkeit in Erinnerung, statt digitaler Ablenkung einfach mal Langeweile oder Einsamkeit zu ertragen“, sagt Wölfling. „Diese Zustände sind nichts Negatives. Es ist wichtig, sie aushalten zu können.“ Fortsetzung.

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