Erben könnte so schön sein

Wenn ein naher Verwandter verstirbt, ist die Trauer groß. Doch manchmal hellt sich die Trauer durch eine unerwartete Erbschaft auf. Besser ist es auf jeden Fall, wenn Erblasser ihr Erbe schon zu Lebzeiten festlegen. Denn es können sonst erhebliche Widrigkeiten auftreten, wie luckx – das magazin recherchierte.

Erbschaft

Etwas vererbt zu bekommen, ist eigentlich ein freudiges Ereignis – so jedenfalls die landläufige Meinung. Schließlich winken üppige Geldüberweisungen oder die Überschreibung von Immobilien. Doch in der Realität ist meist der Wunsch Vater des Gedankens. Denn in vier von fünf Fällen erbt nicht einer allein, sondern zusammen mit anderen Familienmitgliedern oder der ungeliebten Schwiegermutter. Dann flammen längst überwunden geglaubte Grabenkämpfe unter Geschwistern aus der Jugendzeit wieder neu und jetzt umso heftiger auf.

Was sich kaum jemand klar macht: Der Dauerstress um den eigenen Erbanteil macht Erben krank, manche sogar schwer krank. „Willkommen in der eiskalten Welt der Erbengemeinschaft, in der jeder noch so billige Psychotrick erlaubt und eher zart besaitete Erben jahrelangem Stress ausgesetzt sind,“ weiß Betriebswirt Manfred Gabler. „Bis der Stress irgendwann an der Gesundheit nagt und chronische Krankheiten entstehen. Erst dann wachen viele Erben auf und begreifen, dass sich selbst mit einer millionenschweren Erbschaft die eigene Gesundheit nicht zurückkaufen lässt. Sie suchen deshalb den schnellen Ausstieg aus der zerstrittenen Erbengemeinschaft“, so Gabler weiter.

Überlebenswichtig

Ursprünglich war Stress für den Menschen überlebensnotwenig. Stress sorgt nämlich dafür, dass dem Körper unter anderem Adrenalin und Cortisol ausschüttet. Dadurch kann der Mensch einer Gefahr schnell ausweichen oder den Aggressor angreifen. Ist die Gefahr gebannt, sinkt auch der Cortisolspiegel im Blut und der Mensch entspannt sich wieder. Heute herrscht dagegen bei vielen Menschen eine Art Dauerstress vor. Doch aus der überlebensnotwendigen Sache droht eine gesundheitsgefährdender Faktoren offen zu werden. Zu viel Arbeit, ein schlechtes Betriebsklima, der Tod eines geliebten Menschen, Eheprobleme, die Pflege von Angehörigen, finanzielle Sorgen – all das kann auf die Gesundheit schlagen. Das hat kürzlich ein Team des University College London (UCL) und des Kings College im Vereinigten Königreich herausgefunden. Sie untersuchten die Konzentration bestimmter Biomarker, die mit etlichen stressbedingten Leiden in Verbindung stehen, im Blut von fast 5000 Erwachsenen. Dazu nutzten die Wissenschaftler Daten einer kontinuierlichen Langzeituntersuchung zum Gesundheitszustand britischer Bürgerinnen und Bürger über 50. Wie befürchtet, fanden die Forschenden bei all jenen, die generell übermäßig viel Stress erlebten, eher erhöhte Konzentrationen von Biomarkern und Cortisol im Blut. Bei ihnen lag die Wahrscheinlichkeit, zur Hoch-Risiko-Kategorie zu zählen, im Vergleich zu wenig oder moderat belasteten Probanden um gut 60 Prozent höher.

Finanzieller Druck

Ein Faktor steigert dabei das Krankheitsrisiko laut Studie deutlich stärker als andere: finanzieller Druck. Der Grund: Geldsorgen beeinflussen gleich mehrere Bereiche unseres Lebens und können zu familiären Konflikten, sozialer Ausgrenzung und sogar zu Hunger oder Obdachlosigkeit führen. Platz zwei der ungünstigsten Stressfaktoren belegt die Trauer um den Tod eines nahen Menschen, Platz drei die psychische Belastung, die mit einer längeren Krankheit verbunden ist. Überraschend: Eine eigene Behinderung, ein pflegebedürftiger Angehöriger und selbst eine Scheidung stachen dagegen nicht heraus. Häufig summieren sich bei Erben mehrere Stressfaktoren: Eine Erbin hat den Erblasser vor dessen Tod aufopferungsvoll gepflegt. Ihr geht sein Tod deshalb extrem nahe. Sie verfügt über wenig Geld und möchte von den Miterben einen Anteil für die alleinige Pflege des Vaters. Die Geschwister sehen das entgegen der geltenden Rechtslage nicht ein und verzögern jahrelang die Auflösung der Erbengemeinschaft. Die Miterbin muss Kredite aufnehmen, um ihren Anwalt bezahlen zu können. „Besonders heftig wirkt sich Stress aus, der eine emotionale Ursache hat. Und das ist bei Erbengemeinschaften immer der Fall“, sagt Manfred Gabler. Ihn erreichen jährlich Hunderte Anfragen gestresster Erben, die aus der Erbengemeinschaft schnell rauswollen. Dabei hat Gabler den immer gleichen äußeren Ablauf beobachtet.

Gestresste Erben

Auf der ersten Stressstufe steht der Tod eines Elternteils, gefolgt von der Ungewissheit, ob und wie man geerbt hat. Unsicherheit macht sich breit, weil die Erben nicht wissen, wo sie die erforderlichen Unterlagen herbekommen und was grundsätzlich zu tun ist nach den ersten Tagen/Wochen. Klar ist: Routine hat keiner der Erben. Denn statisch gesehen erbt jeder Deutsche 1,2 mal im Leben. Und das verursacht schon am Anfang massiven Stress.

Dann kommt die zweite Stufe, auf der der Erbe erkennt, dass er nicht allein erbt („Ich erbe mit meinen Geschwistern und muss mich wehren, verteidigen, argumentieren.“) Streit entsteht und die Auflösung der Erbengemeinschaft gelingt über Jahre nicht. Dies führt zu Dauerstress, weil man es jeden Tag am Morgen und am Abend in seinem Kopf hat – und dies über viele Monate und Jahre. Das führt in der Maximalausprägung zu handfesten psychischen Problemen bis hin zu Depressionen. Denn wie man gegen Stress in Erbengemeinschaften resilient wird, hat niemand der Erben gelernt.

Auf der dritten Stufe bekommt der psychisch stark angeschlagene Erbe physischen Probleme wie Diabetes, Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebs usw..

Wenn ein Erbe angeschlagen ist, sollte er schnell umdenken, d.h. seine Kräfte bündeln und Ballast über Bord werfen. Alles, was einer Genesung im Weg steht, muss weg. Und da gehört als erstes die Erbengemeinschaft dazu: Man will sie daher schnellstmöglich hinter sich bringen. Wenn da nicht der skrupellose Miterbe wäre, dem es egal ist, ob man krank ist oder nicht. Der Miterbe blockiert und setzt den kranken Erben zusätzlich unter Druck“, beobachtet Manfred Gabler immer wieder. Dadurch werde der kranke Erbe regelrecht zum Verkauf des Erbanteils getrieben – egal was es kostet. Man will sich eben nicht weiter damit belasten. Die Gesundheit ist wichtiger.

Alternativen

Der Erbanteilsverkauf ist sicher eine Möglichkeit, um die Erbengemeinschaft schnell zu verlassen. Alternativ bietet sich auch die so genannte Erbabwicklung an. Zusammen mit anderen Experten wie Sachverständigen, Juristen und Betriebswirten wird der erkrankte Erbe in der Erbengemeinschaft vertreten und sorgen für eine schnelle Auflösung. Er kann sich ganz aus dem Stressfeld der Erbengemeinschaft rausziehen und sich auf seine Genesung konzentrieren.