Schlafstörung

Es ist fast unvorstellbar: vielen Mitmenschen graut es vor der nächsten Nacht. Sie kommen nicht in den Schlaf, wachen nach kurzer Zeit wieder auf. Mit erholsamen Schlaft ist da nichts zu machen. Doch gerade nachts soll sich der Körper durch Schlafen erholen. Wie dem Übel auf die Spur gelangen kann, hat luckx – das magazin recherchiert.

Alptraum

Schlafverhaltensstörung werden meist nicht richtig erkannt oder einfach von den Betroffenen hingenommen. So wird die Nacht meist zum Alptraum. Dazu kommt, dass die Krankheit als zuverlässiger Vorbote für Parkinson-Syndrome und andere Erkrankungen des Nervensystems gilt. Doch so kann es nicht bleiben. Einem Forschungsteam aus Innsbruck gelang es, wegweisende Technologien in einem Diagnosetool zu kombinieren. Um die personal- und zeitaufwendige Untersuchung im Schlaflabor abzulösen, entwickelte ein Team aus Innsbruck einen KI-basierten Ansatz, der REM-Schlaf-Verhaltensstörungen verlässlich erkennt.

Denn wer an einer Schlafverhaltensstörung leidet, benimmt sich in der Nacht und während des Träumens anders als am Tag. „Die Betroffenen verhalten sich zum Beispiel aggressiv oder gefährlich. Manchmal tragen ihre Bettpartner eine aufgeplatzte Lippe oder ein blaues Auge davon. Außerdem verletzen sich die Betroffenen selbst, beispielsweise weil sie aus dem Bett fallen“, sagt Birgit Högl, Neurologin und Leiterin der Abteilung für Schlafmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck. Hinter den nächtlichen Gewaltausbrüchen steht die Krankheit Isolated REM Sleep Behaviour Disorder (iRBD). Die Abkürzung REM (rapid eye movement) bezeichnet die betroffene Schlafphase, während der sich gesunde Schlafende normalerweise nicht bewegen. Högl geht davon aus, dass eine von hundert Personen an iRBD erkrankt – Männer und Frauen, vorwiegend Ältere. Doch die genaue Zahl ist schwer abzuschätzen, weil viele Betroffene von ihrer Krankheit nichts wissen und Verdachtsfälle lange auf eine Untersuchung warten müssen.

Folgeerkrankungen

Vor diesem Hintergrund entwickelte Högls Forschungsgruppe nun ein einmaliges Tool. Gemeinsam mit Heinrich Garn und Bernhard Kohn, zwei Experten vom Austrian Institute of Technology (AIT), kombinierten sie eine Hightech-Kamera mit künstlicher Intelligenz (KI), um iRBD-spezifische Bewegungen zu erkennen. „Die Methode erreicht eine so hohe Genauigkeit, dass sie in der Klinik einsetzbar ist“, sagt Matteo Cesari, Bioingenieur und Erstautor einer aktuellen Studie aus dem Projekt. iRBD ist nicht nur gefährlich für die Betroffenen und ihre Bettpartner:innen, sondern gleichzeitig der sensitivste und spezifischste Marker für den Untergang von Nervenzellen. Eine frühzeitige Diagnose ist der notwendige erste Schritt, um das Fortschreiten des neurodegenerativen Prozesses zu verlangsamen.

Schlafstörung erkennen

Eine Schlafstörung ist leicht zu erkennen, wenn die Betroffenen nicht schlafen können. Weniger trivial ist es bei Diagnosen wie iRBD. Hier wird die Muskulatur während des REM-Schlafs nicht gehemmt, wie es bei Gesunden der Fall wäre. „Bei iRBD-Patienten sehen wir viele schnelle Zuckungen in den Beinen und Armen. Außerdem führen die Personen Bewegungsabläufe aus, bei denen man den Eindruck hat, sie agieren ihre Träume im Liegen aus“, beschreibt Högl das Krankheitsbild. Dass iRBD derzeit häufiger bei Männern diagnostiziert wird, erklärt sich die Expertin aus den Lebensumständen: Während viele Frauen in späteren Lebensphasen ohne Partner sind und daher alleine schlafen, schlafen ältere Männer meist noch neben einer Partnerin, sodass die Erkrankung eher auffällt. Im Allgemeinen bleibt iRBD jedoch oft unerkannt. „Manche Menschen wissen gar nicht, dass es nicht normal ist, im Schlaf zu tun, was man träumt“, bemerkt Högl.

Verhaltensauffällig

Wer über 50 Jahre alt ist und auf einmal beginnt, im Schlaf auffällige Bewegungen oder Verhaltensweisen an den Tag zu legen (ob mit oder ohne Träume), sollte ein Schlafzentrum aufsuchen. Zum einen, weil man die Symptome einer iRBD medikamentös lindern kann. Zum anderen, weil die Krankheit den Verlust von Nervenzellen anzeigt und mit anderen Erkrankungen zusammenhängt. „90 Prozent der Patienten mit iRBD entwickeln eine neurodegenerative Erkrankung wie Parkinson, Lewy-Körperchen-Demenz oder Multisystematrophie“, so Högl. Das geschehe oft im Verlauf von mehreren Jahren. Deshalb seien Patienten mit iRBD dafür prädestiniert, neuentwickelte Medikamente zu erhalten, die den Prozess verlangsamen können. An solchen Behandlungen wird derzeit intensiv geforscht, unter anderem auch von Ambra Stefani und anderen Kollegnen aus Högls Abteilung. Denn wenn die erwähnten Erkrankungen einmal vorliegen, sind viele Nervenzellen bereits verloren gegangen. „Bei einer iRBD-Diagnose sind wir zehn Jahre früher dran. Doch das Nadelöhr ist das Schlaflabor“, bedauert die Neurologin.

Schlaflabor

Bislang können Schlafstörungen nur an Schlafzentren zuverlässig diagnostiziert werden. In einer Polysomnografie werden verschiedene Signale beim Schlafenden aufgenommen: unter anderem die Hirnstromkurve, Augenbewegungen, die Atmung, Geräusche, der Muskeltonus und die Körperlage. Alle Messungen werden gesammelt und manuell den Schlafphasen zugeordnet. Weil das entsprechend personal- und zeitaufwendig ist, wartet man bei österreichischen Schlafzentren teilweise ein Jahr lang auf einen Termin. Diesen Umstand nahm sich Högls Forschungsgruppe zum Anlass, eine automatisierte Lösung für die iRBD-Diagnose zu entwickeln – mit dem Ziel, ein Werkzeug zu schaffen, das auch für das Screening von Gesunden eingesetzt werden kann, um ein Risiko für neurodegenerative Erkrankungen frühzeitig zu erkennen.

Schlafmonitoring

Für unsere Methode verwenden wir eine Time-of-Flight-Kamera, wie man sie aus der Spielkonsole Xbox als Kinect-Sensor kennt“, erläutert Cesari den Aufbau. Die 3D-Kamera sendet Infrarotstrahlen aus, die vom Körper der schlafenden Person zurückgeworfen und wieder detektiert werden. Daraus ergibt sich die Entfernung zwischen der Kamera und dem Menschen. „Wir nehmen 30 Bilder pro Sekunde auf und erhalten für jedes Pixel die Distanz. Wenn sich die Entfernung ändert, dann bedeutet das, dass sich die Person bewegt“, so der Bioingenieur. Für die Auswertung der Kameradaten entwarfen die Forschenden eine KI-basierte Lösung, mit der sie die händische Arbeit so weit wie möglich minimierten. In ihrer Studie präsentieren Cesari und Kollegen die neueste Version des Systems, das die Auswertungen mehrerer Körperpartien über maschinelles Lernen zusammenführt. „Wir kombinieren die Bewegungen der Beine, des Oberkörpers, der Hände und des Kopfes, die im REM-Schlaf auftreten. Erst mit dieser Überlagerung kann man die beste Leistung erreichen“, so Cesari. Das System erkannte iRBD-Patienten mit 87 Prozent Treffsicherheit, was der – ungleich aufwendigeren – multifaktoriellen Untersuchung im Schlafzentrum nahekommt. Am Ende soll eine Art „automatisiertes Schlaflabor für zu Hause“ entstehen, das bei bevölkerungsweiten Vorsorgeuntersuchungen genutzt werden kann. Personen aus Risikogruppen könnten von dem System besonders profitieren, etwa Bewohner von Altersheimen, für die ein Krankenhausbesuch oft mühevoll ist. „Wenn Menschen an iRBD erkranken, dann brauchen sie eine gute Diagnose, Beratung und Kontrolle“, bekräftigt Högl. „Sie sollten wissen, was die Krankheit bedeutet und dass es möglich ist, eine neurodegenerative Erkrankung hinauszuzögern.“