Länger Leben

Ob ein längeres Leben wirklich erstrebenswert ist, wird immer wieder hitzig diskutiert. Ob es ein Leben nach dem irdischen gibt, kann uns keiner garantieren. Also liegt es nahe, so lange wie möglich dieses Leben zu nutzen. Krankheiten können das Leben beschränken. Wie die Medizin hilft, hat luckx – das magazin recherchiert.

Koronare Herzkrankheit

Der medizinische Fortschritt hat uns schon viele weitere Lebensjahre ermöglicht. Krankheiten, die früher zum Tode führten, werden durch Medikamente bekämpft. Ein längeres und gesünderes Leben ist nun möglich. Dass dadurch auch die Bundesregierung nun auf den Dreh gekommen ist, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, ist eine Konsequenz daraus. Doch wenn die Politik weiter an dieser Schraube drehen möchte, sollte sie nicht über weitere Jahre ihrer politischen Verantwortung nachdenken. Denn der größte Bevölkerungsanteil sind die Älteren in Rente oder kurz davor. Bei der nächsten Wahl werden sie dann „in Rente geschickt“.

Zurück zu den Krankheiten. Wie aus dem Deutschen Herzberichts zu entnehmen ist, ist die Sterblichkeit durch die Koronare Herzkrankheit mit rund 120.000 Sterbefällen (davon Herzinfarkt rund 44.000 Herzinfarkttote) in Deutschland absolut betrachtet viel zu hoch. Als Folge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verliert außerdem die Bevölkerung in Deutschland Lebensjahre. Besonders Defizite in Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind der Grund dafür, dass Deutschland in der Lebenserwartung trotz hoher Gesundheitsaufwendungen im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern nur hintere Ränge (unter 16 Ländern Rang 14 bei den Frauen/Rang 15 bei den Männern) belegt. Auch hat Deutschland seinen Rückstand auf die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt im restlichen Westeuropa auf 1,7 Jahre vergrößert. Kardiologen sind besorgt und alarmiert. Und die Zeit für konkrete Maßnahmen drängt.

Alter ausschlaggebend für Herzerkrankungen

„Mit dem Alter steigt auch die Häufigkeit von Herzkrankheiten wie koronare Herzkrankheit (KHK), Herzschwäche oder Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern stetig an und damit auch das Risiko für schwerwiegende Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall und plötzlicher Herztod. Je früher wir aktiv mit gezielter Prävention und Früherkennung vorsorgen, desto besser“, erklärt der Kardiologe Prof. Dr. Stephan Baldus, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. Warum eine flächendeckende Initiative für einen Herz-Kreislauf-Gesundheitscheck im besten Fall ab 35 und spätestens ab dem 50. Lebensjahr so dringlich ist, zeigen allein schon die Zahlen. Baldus: „Die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit ist deutlich erhöht bei der Bevölkerung über 65 Jahre: bei Menschen im Alter von 65 bis 69 Jahren sogar über 60-fach höher als bei 25- bis 29-Jährigen“.

„Weil Deutschlands überdurchschnittlich hohe Herz-Kreislauf-Sterblichkeit mit über 348.300 Todesfällen im Jahr 2023 – das ist jeder dritte Sterbefall – vor allem Defiziten in der Prävention geschuldet ist, brauchen wir standardisierte Vorsorgeprogramme für Herz-Kreislauf-Erkrankungen für Menschen im besten Fall ab 35 und spätestens ab dem 50. Lebensjahr“, fordert der Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Herzstiftung Prof. Dr. Heribert Schunkert.

Aktiv vorsorgen

Wer im Alter von 50 Jahren einen normalen Blutdruck, normale Cholesterinwerte und ein gesundes Körpergewicht hat, nicht raucht und nicht an Diabetes erkrankt ist, bleibt im Vergleich zu Personen mit allen fünf Risikofaktoren länger von Herzkrankheiten verschont und lebt insgesamt länger: Frauen ohne Risikofaktoren sterben 14,5 Jahre später als Personen, die im mittleren Alter alle fünf Risikofaktoren aufweisen; Männer 11,8 Jahre. Hinzu kommt: Kardiovaskuläre Prävention umfasst zusätzlich auch Begleit- und Folgeerkrankungen wie Demenz, Nierenfunktionsstörungen oder pAVK. Vorsorgen lässt sich ab dem 35. Lebensjahr und spätestens ab 50.

So ist ein hoher Blutdruck der wichtigste und häufigste beeinflussbare Risikofaktor für Herzkrankheiten wie Herzschwäche oder Vorhofflimmern. Bluthochdruck verursacht typischerweise keine Beschwerden. Deshalb sollte der Blutdruck regelmäßig gemessen und ein Bluthochdruck effektiv eingestellt werden.

Etwa jeder fünfte Herz-Kreislauf-Todesfall geht laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit auf das Rauchen zurück. Vor allem die Raucherentwöhnung sollte zwingender Bestandteil der Herz-Kreislauf-Vorsorge sein. Ein generelles Angebot für Programme zur Raucherentwöhnung besteht in Deutschland aktuell nicht. Krankenkassen bezuschussen zwar zertifizierte Entwöhnungskurse (Verhaltenstherapien), das ärztliche Verordnen von Ersatzprodukten wie Nikotinpflaster zählt jedoch bislang nicht zur üblichen Kassenleistung. Anders in europäischen Ländern wie etwa Großbritannien: Dort bietet das nationale Gesundheitssystem kostenlose Programme zur Raucherentwöhnung an und stellt Nikotinersatzprodukte kostenlos oder zu einem geringen Preis zur Verfügung.

Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit) sind unabhängige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das gilt besonders für das (viszerale) Fettgewebe in der Bauchhöhle rund um die inneren Organe und das auf der Oberfläche des Herzens liegende (epikardiale) Fettgewebe, die entzündliche Prozesse und damit Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen. Ein regelmäßiges Bestimmen des Taillenumfangs im Verhältnis zur Körpergröße oder des Body-Mass-Index (BMI) hilft, das individuelle Risiko frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Das Aufzeichnen der elektrischen Aktivität des Herzens (Elektrokardiogramm, EKG) ermöglicht es, Herzrhythmusstörungen zu erkennen. Wird beispielsweise Vorhofflimmern – die häufigste Rhythmusstörung – rechtzeitig erkannt und behandelt, lässt sich das Risiko für einen Schlaganfall infolge des Vorhofflimmerns um bis zu 70 Prozent senken.

Ein erhöhter Wert für das LDL-Cholesterin ist der wichtigste Risikofaktor für die Atherosklerose („Arterienverkalkung“) mit ihren schweren Folgen wie Herzinfarkt. Welchen LDL-Zielwert der Einzelne aufgrund seines Alters und seiner Krankengeschichte erreichen sollte, lasst sich mit speziellen Risikotabellen bestimmen. Ob künftig zur Vorsorge auch der Wert des überwiegend genetisch bedingten Blutfettes Lipoprotein(a), kurz Lp(a), in die Herz-Kreislauf-Vorsorgeuntersuchung einbezogen werden sollte, ist derzeit noch offen. Empfohlen wird Lp(a) einmal im Leben messen zu lassen.

Der sogenannte HbA1c-Wert bildet den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel der letzten acht bis zwölf Wochen ab (Langzeitblutzuckerwert). Er dient zur Diagnose der Zuckerkrankheit Diabetes mellitus oder ihrer Vorstufe (Prädiabetes). Mit einem erhöhten HbA1c-Wert steigt auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Häufige Begleiter von Herz-Kreislauf-Leiden sind chronische Nierenerkrankungen. Sie erhöhen das Risiko für Komplikationen und somit die Sterblichkeit. Eine eingeschränkte Funktion der Nieren lasst sich mit Laboruntersuchungen (Blut und Urin) erkennen. Das ist nicht nur für die Prognose der Herz-Kreislauf-Erkrankung wichtig – auch das Fortschreiten einer Nierenerkrankung lässt sich mittlerweile erfolgreich medikamentös aufhalten.

Vorsorgeuntersuchungen

Zwar bietet das deutsche Gesundheitssystem für gesetzlich Versicherte flächendeckend zugängliche und kostenfreie Vorsorgeuntersuchungen wie beispielsweise den einmaligen Gesundheits-Check zwischen 18 und 34 Jahre und ab 35 Jahren alle drei Jahre einen Check-Up, der auf kardiovaskuläre Risikofaktoren inklusive Diabetes zielt. Jedoch nehmen nur wenige Versicherte die Chancen zur Vorsorge wahr. In Großbritannien etwa werden in einem Programm zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Nierenerkrankungen und Demenz Erwachsene zwischen 40 und 74 Jahren alle fünf Jahre eingeladen, an einer Untersuchung teilzunehmen. „Mit den so gewonnenen Gesundheitsdaten lässt sich die individuelle Gefährdung berechnen, in den nächsten zehn Jahren eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden. Dem Risiko entsprechend folgen eine individuelle Beratung und Therapie“, bringt die Kölner Ärztin Dr. Di Benedetto das Prinzip auf den Punkt.