Es ist immer wieder das gleiche Spiel: Die Rechte von uns Verbrauchern sollten immer wieder eingeschränkt werden. Ob bei Garantieleistungen oder bei Zug- und Flugverspätungen. Aktuell versuchen Fluggesellschaften diese Rechte zu reduzieren, wie luckx – das magazin recherchierte.
Verspätungen zu Lasten der Passagiere
Passagiere leiden schon seit vielen Jahrzehnten unter Flugverspätungen. Anschlussflüge werden verpasst, Züge sind schon weg und wer am Flughafen sein Fahrzeug abstellte, zahlt dann auch noch mehr Parkgebühren. Das alles scheint den Fluggesellschaften völlig egal zu sein. Nun versuchen sie die seit 20 Jahren bestehenden Fluggastrechte zu reduzieren und fordern einen Freifahrtschein für ihre Managementfehler und Unfähigkeiten. Ohne klare wirtschaftliche oder soziale Rechtfertigung versuchen die Fluggesellschaften, die Verspätungsschwelle von drei Stunden auf fünf, neun und zwölf Stunden zu erhöhen. Das gäbe ihnen das Recht, Flüge bis zu viermal länger auf Kosten der Verbraucher zu verschieben. Derzeit haben weniger als zwei Prozent aller Passagiere in der EU Anspruch auf Entschädigung. Durch die vorgeschlagenen Änderungen könnte sich diese Zahl um weitere 80 Prozent verringern, sodass nur noch 0,4 Prozent der Störungen entschädigungsfähig wären. Dies zeigt, wie wenig die Fluggesellschaften bereit sind, in das Wohlergehen der Passagiere zu investieren, wenn man bedenkt, dass die Kosten für die Entschädigung nach EG 261 nur 0,58 bis 1,17 Euro pro Passagier betragen.
Entschädigungssystem als Betrug
Was die Airlines über ihre Gäste und Kunden denken, wird deutlich, wenn wir die Aussage von Benjamin Smith, CEO von Air France-KLM, in diesem Kontext setzen. Er argumentierte, dass man mit den heute geltenden Richtlinien „ein 100-Euro-Ticket kaufen und mehrere hundert Euro als Entschädigung für etwas erhalten kann, das nicht einmal in der Kontrolle der Fluggesellschaft lag“. In ähnlicher Weise sprach sich Michael O’Leary, CEO von Ryanair, gegen das System aus und bezeichnete es als „verdammten Betrug“ und „eine Charta für Abzocker-Anwälte“. Beide Kommentare sind nicht nur respektlos gegenüber den Passagieren, sondern auch völlig falsch und verkennen die eingebettete Fairness und den eigentlichen Zweck der Passagierrechte. Die EU-Verordnung 261/2004, die Fluggäste schützt, macht Fluggesellschaften nicht für Störungen verantwortlich, die durch Umstände verursacht werden, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, selbst wenn diese normalen Bestandteile ihres Geschäfts sind, wie schlechtes Wetter oder Überlastung des Luftraums. Das Gegenteil zu behaupten, ist faktisch falsch. Tatsächlich schützt die Verordnung 261 Fluggesellschaften in hohem Maße. Sie gibt ihnen eine Kulanzfrist von vollen drei Stunden, ohne dass dies unmittelbare rechtliche Konsequenzen für die Passagiere hat oder die Fluggesellschaften zur Entschädigung verpflichtet.
Negative Auswirkungen auf das Leben der Passagiere
Patrick Gibbels, Generalsekretär von Association of Passenger Rights Advocates (APRA), erklärt: „Wenn Benjamin Smith von Air France-KLM argumentiert, dass ein Ticket für 100 Euro zu einer Entschädigung von mehreren hundert Euro führt, ignoriert er, dass die tatsächlichen Kosten von Verspätungen über den Ticketpreis hinausgehen: Passagiere verpassen Familienfeiern, berufliche Verpflichtungen und erleben Stress, Unannehmlichkeiten und Störungen. Bei Entschädigungen geht es nicht um den Ticketpreis, sondern darum, die erheblichen Auswirkungen auf die Zeit, das Wohlbefinden und das Leben der Passagiere zu berücksichtigen. Das Entschädigungssystem ist alles andere als ein „Betrug“, sondern macht die Fluggesellschaften für ihr Handeln verantwortlich und stellt sicher, dass Passagiere fair behandelt werden.
Der Kommentar ‘Abzocker’ zeigt, wie weit Fluggesellschaften von ihren Kunden entfernt sind. Würden Fluggesellschaften die Passagierrechte respektieren und sich an die Gesetze halten, müssten Passagiere gar nicht auf Anwälte zurückgreifen, um die ihnen zustehende Entschädigung zu erhalten.
Bei derart langen Schwellenwerten würden jegliche Anreize für Fluggesellschaften, ihre Betriebsabläufe zu verbessern und Ressourcen besser zu nutzen, die sich aus der Verordnung (EG) Nr. 261 ergeben, praktisch verschwinden. Die Passagiere müssten die Last dieser Ineffizienz tragen, da mehr Menschen stundenlang auf Flughäfen festsitzen würden. Dies dient nicht dem öffentlichen Interesse und kommt nur den Bilanzen der Fluggesellschaften zugute.
In den 20 Jahren, in denen die EG 261 in Kraft ist, konnte Ryanair florieren und wurde zur am schnellsten wachsenden und profitabelsten Fluggesellschaft Europas. Jetzt fordert sie jedoch die Freiheit, Passagiere bis zu zwölf Stunden lang aufzuhalten, ohne dass dies Konsequenzen für ihre eigenen Betriebsfehler hat. Dies würde das System grundlegend untergraben und es Ryanair und anderen Fluggesellschaften ermöglichen, mehr Flugzeuge in Rotation zu bringen, in dem Wissen, dass sie Passagiere viel länger aufhalten können. Dadurch würden Menschen gestrandet bleiben und eine größere Überlastung des Luftraums verursacht werden – und das alles ohne finanzielle oder rechtliche Konsequenzen für die Fluggesellschaften. Es wäre ein risikofreier Vorgang für die Fluggesellschaften.
Passagiere zahlen für die unfähigen Manager die Zeche
Seit 20 Jahren trägt die EU-Verordnung dazu bei, dass der Reiseverkehr innerhalb der Union und international zunimmt, und einen Marktplatz für florierende Fluggesellschaften schafft. Als Fluggesellschaften während der Corona-Pandemie in Schwierigkeiten gerieten, zahlten die Passagiere die Zeche, da europäischen Steuerzahler einsprangen, um die Fluggesellschaften zu schützen. Jetzt, da die Gewinne der Fluggesellschaften in die Höhe schnellen, ist die Forderung nach einer weitgehenden Abschaffung der Fluggastrechte völlig inakzeptabel. Vielleicht sollten diese Manager einmal selbst mit ihren Fliegern unterwegs sein und irgendwo stranden. Wir von luckx – das magazin haben das leider auch schon mehrfach erlebt und Termine verpasst. Eigentlich muss die aktuelle Verordnung deutlich zu Gunsten der Passagiere überarbeitet werden. Schon Verspätungen von einer halben Stunde müssen zu Entschädigungen führen. Dazu ein anderes Beispiel, wo die EU-Verordnung zu mehr Kundenfreundlichkeit geführt hat. Waren Fähren-Ankunftszeiten vor ein paar Jahren nur Hinweise, wann eine Fähre vielleicht den Zielhafen erreicht, so sind die Fährverbindungen aufgrund der eingeführten Passagierrechte weitestgehend pünktlich. Es geht doch. Das kann auch im Flugverkehr klappen.