Wo bleibt die Digitalisierung?

Homeschooling, Home-Office, Video-Konferenzen, Telefonsprechstunde beim Arzt: das sollte eigentlich in einer der größten Volkswirtschaften wie am Schnürchen funktionieren. Doch so richtig kommt die Digitalisierung nicht voran, wie luckx – das magazin recherchierte.

My home is my castle?

Die Bundesregierung hat schon 2016 – weit vor Beginn der Pandemie – für den Digitalpakt Schule Fördergelder von insgesamt 6,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Bis heute wurde gerade einmal 2,44 Milliarden Euro beantragt. Abgeflossen – also in den Schulen angekommen – sind gerade einmal 1,227 Milliarden Euro. Davon sind rund 800 Millionen Euro Corona Hilfen. Warum ist Schule so langsam? Warum wird Online-Unterricht nicht durchgeführt? Noch immer sind der größte Teil der Corona-Invizierten Schülerinnen und Schüler, die dringend auf den Unterricht angewiesen sind. Die Nachteile für deren schulischen Erfolg werden diskutiert. Gehandelt wird nicht oder zu wenig. Warum schaffen es die Hochschulen mit Online-Vorlesungen und Schulen nicht mit Online-Unterricht?

Oder ist diese Verweigerungshaltung ein typisch deutsches Problem? Schauen wir uns dazu unser Gesundheitssystem einmal an.

Problemlöser

Grundsätzlich empfinden die Deutschen Technik eher als problemlösend: Befürworteten 2017 noch 35,5 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger die Aussage »Durch Technik entstehen mehr Probleme, als gelöst werden«, so sind es im aktuellen TechnikRadar nur noch 23,1 Prozent der Befragten.

Bei der Freigabe von Gesundheitsdaten sind die Deutschen aber verhalten. So lehnt es die Hälfte der Befragten (50,1 Prozent) ab, die eigenen Daten in personalisierter oder anonymisierter Form an private Forschungseinrichtungen weiterzugeben. Dem Hausarzt, Facharzt oder Krankenhaus würden hingegen mehr als 80 Prozent der Befragten ihre Daten zur Verfügung stellen. Umso interessanter wirkt in diesem Zusammenhang ein Befund aus der Umfrage unter 200 Medizinerinnen und Medizinern, die ebenfalls Teil des TechnikRadar 2022 ist: Nur 13,1 Prozent der befragten Ärzteschaft haben Kenntnis darüber, wer auf die digitalen Patientendaten Zugriff hat und welche Daten abgerufen werden.

Elektronische Patientenakte

Verhindert die Sorge um den Schutz sensibler Daten die Nutzung der im Jahr 2021 eingeführten elektronischen Patientenakte (ePA)? Das Interesse an der ePA ist grundsätzlich vorhanden: 46,8 Prozent der Befragten haben vor, die ePA zu verwenden. Allerdings kennen 24,4 Prozent der Befragten das Angebot gar nicht, nur 5 Prozent nutzen es aktuell. 20,2 Prozent der Befragten wollen die ePA aufgrund von Bedenken beim Datenschutz (50 Prozent) und Unklarheiten darüber, wer welche Daten einsehen kann (53 Prozent), nicht nutzen. Ein ernüchterndes Ergebnis aus Sicht der Befürworter der ePA, die sich von der Neuerung eine Effizienz- und Qualitätssteigerung im Gesundheitswesen sowie eine Verbesserung der Forschungs- und Vorsorgemöglichkeiten erhoffen.

Auch Medizinerinnen und Mediziner befürworten prinzipiell die ePA: In der begleitenden Umfrage geben 54,7 Prozent an, dass die Vorteile der ePA die Nachteile überwiegen. Dass die eigenen Interessen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens angemessen berücksichtigt werden, diesen Eindruck hat die Ärzteschaft allerdings weniger: Rund zwei Drittel der Befragten (66,5 Prozent) stimmen hier nicht zu.

Hohes Vertrauen

Ein wachsender Anteil der Deutschen konsultiert bei gesundheitlichen Beschwerden erst einmal das Internet: 27,2 Prozent der Befragten recherchieren vor dem Arztbesuch zunächst im Netz. Fast die Hälfte der Befragten (45,3 Prozent) fühlt sich im Stande, online Antworten auf ihre Fragen rund um das Thema Gesundheit zu finden und 63,2 Prozent sind der Meinung, diese Informationen auch kritisch bewerten zu können.

Die Begeisterung der Ärztinnen und Ärzte hält sich angesichts dieser neuen digitalen Gesundheitskompetenz allerdings in Grenzen. Fast ein Drittel der Befragten (30,7 Prozent) meint, die Digitalisierung gefährde das Arzt-Patienten-Verhältnis. Eine Mehrheit von 59,5 Prozent der befragten Ärzteschaft ist der Meinung, dass die Patientinnen und Patienten sowohl mit der Nutzung digitaler Angebote als auch mit deren Interpretation überfordert sind.

Das meiste Vertrauen genießen aber auch weiterhin Medizinerinnen und Mediziner, vor allem, wenn sie Diagnosen auf Basis langjähriger Erfahrungen erstellen: 82,7 Prozent der Befragten halten diese für sehr oder eher sinnvoll. Ärztliche Diagnosen auf der Basis von Datenbanken findet hingegen nur knapp die Hälfte der Befragten (45,4 Prozent) sinnvoll. Und Diagnosen auf der Basis Künstlicher Intelligenz bewerten lediglich 27,5 Prozent der Interviewten positiv.

Doch vielleicht ist es im Gesundheitswesen genauso wie in der Schule: Das Vertrauen fehlt dann doch. Noch immer ist in vielen Arztpraxen die Digitalisierung nicht eingezogen und Anamnesen und Diagnosen werden handschriftlich notiert. Und vielleicht wäre in der Schule durch den Online-Unterricht die von Lehrern immer wieder bemängelte Disziplin und Teilnahme am Unterricht von Schülerinnen und Schülern eine völlig andere. Denn dann könnten auch Eltern mitverfolgen, wie sich ihre Sprösslinge während des Unterrichts verhalten und wären auf die subjektiven Mitteilung durch das Lehrpersonal nicht mehr angewiesen.

Das TechnikRadar von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Körber-Stiftung und dem Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart ist eine regelmäßige, bundesweit repräsentative Befragung, die nach sozialwissenschaftlichen Standards entwickelt und mit Methoden der empirischen Sozialforschung ausgewertet wird. Als langfristig angelegtes Frühwarnsystem macht es Fehlentwicklungen des technologischen Wandels rechtzeitig erkennbar oder weist auf einen besonderen Kommunikationsbedarf hin.