Zwar kommt der Strom weiterhin aus der Steckdose. Doch mit welchen Energieträger er produziert wurde, ist dem Strom nicht anzusehen oder anzumerken. Bisher geschieht dies aus fossilen Groß- und Kernkraftwerken. Geht es nach der Bundesregierung, soll sich das möglichst bald ändern. Was dazu erforderlich ist, hat luckx – das magazin recherchiert.
Energiewende?
Schon Ende 2022 soll der letzte Atommeiler in Deutschland vom Netz gehen. Voraussichtlich 2030 folgt der Kohleausstieg. Bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine galten Gaskraftwerke als Brückentechnologie. Doch jetzt wird klar: Diese Strategie muss überdacht werden. Neben dem weiteren massiven Zubau erneuerbarer Energien müssen wir den Einsatz von netzbildenden Wechselrichtern, Speichertechnologien und weiteren Flexibilitäts-potenzialen erheblich ausweiten, um die Netze in Zukunft zu stabilisieren. Welche Rolle Wechselrichter dabei übernehmen können und wohin die Entwicklung bei den zukünftigen Stromnetzen geht, zeigt die Messe Intersolar in ihrem Fachmessebereich EM-Power Europe, die internationale Fachmesse für Energiemanagement und vernetzte Energielösungen.
Lebensmittel im Kühlschrank lagern, im Internet surfen, das Licht anschalten: Dass Strom in unbegrenztem Maße jederzeit verfügbar ist, ist für uns selbstverständlich. Doch Stromnetze sind fragil. Idealerweise hat der Strom, der durch die elektrischen Leitungen in Europa fließt, eine sinusförmige Wechselspannung mit einer fast gleichbleibenden Frequenz von 50 Hertz. Synchrongeneratoren in Groß- und Kernkraftwerken sichern diese Wechselspannung: Durch ihre rotierenden Massen bringen sie Trägheit ins Stromsystem. So wie die Geschwindigkeit eines schweren Güterzugs nicht stark beschleunigt oder abgebremst werden kann, sorgt diese Trägheit dafür, dass sich die Frequenz im Stromnetz nur relativ langsam ändert – und hält sie auf diese Weise stabil.
Reserven bilden Netzsicherheit
In der Praxis heißt das: Steht zu wenig Strom im Netz zur Verfügung, gleicht die sogenannte Momentanreserve diesen Rückstand aus, bis Schutzmaßnahmen greifen, zum Beispiel bis Regelenergie bereitgestellt wird. Fällt dieser Puffer im europäischen Verbundsystem – im Zuge der Energiewende – weg, steigt die Störanfälligkeit der Stromversorgung. „In den kommenden Jahren brauchen wir ein hohes Maß an Innovationskraft und Tempo, denn große Kernenergieanlagen, die bei der Spannungs- und Frequenzhaltung unterstützten, fallen 2023 weg. All das müssen die Techniker und das System in sehr kurzer Zeit bewerkstelligen. Ab 2030 folgt dann der Kohleausstieg. Auch dann stehen technische Fragen im Raum, etwa die Problematik der Spannungshaltung“ , sagt Thomas Dederichs, Leiter Energiepolitik bei Amprion.
Helfen können hier in Zukunft netzbildende Wechselrichter. Wechselrichter wandeln Gleich- in Wechselstrom um und speisen in der Regel Strom in der Frequenz ein, die das bestehende Netz vorgibt. Die netzbildenden Wechselrichter sind so konzipiert, dass sie zur Drehspannungsquelle für Netze werden: Sie reagieren kurzfristig auf den Bedarf des Netzes und stellen Momentanreserven bereit – ähnlich wie Synchrongeneratoren in herkömmlichen Groß- und Kernkraftwerken.
„Netzbildende Umrichter spielen eine zentrale Rolle für unser zukünftiges Stromnetz mit erneuerbaren Energien“, sagt Prof. Christof Wittwer, Leiter des Bereichs Leistungselektronik, Netze und Intelligente Systeme am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). „Die Netzstabilität wird zunehmend durch netzbildende Umrichter erbracht, die bislang von Großkraftwerken und ihren rotierenden Massen bereitgestellt wurden. Am Fraunhofer ISE entwickeln und evaluieren wir diese zukunftsfähigen Umrichter (GFC), die auch in Speicheranlagen zum Einsatz kommen sollen”.
Internationale Standards
Aktuell verfügen europäische Hersteller von Umrichtern laut Wittwer bereits über das notwendige Know-how, um die technischen Anforderungen an tragfähige Lösungen für netzbildende Wechselrichter zu erproben – und um international technische Standards zu setzen. Neben dem Einsatz im Bereich der regenerativen Energie wie Solar- oder Windenergie wird die Entwicklung von Umrichtern für Stromspeicher immer wichtiger: Der Speicher-Boom hält an, hybride Kraftwerks- und Speicherkonzepte sind bereits in der Umsetzung. Auch batterieelektrische Autos könnten künftig die Funktion eines Speichers mit netzbildenden Wechselrichtern übernehmen. „Speicher sind ein unverzichtbarer Teil der Energiewende. Sie sorgen dafür, dass beispielsweise Solar- oder Windstrom rund um die Uhr zur Verfügung steht“, sagt Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (bne). „Neben der Bereitstellung der Momentanreserve können hybride Kraftwerks- und Speicherlösungen dabei unterstützen, Schwankungen in der Leistungseinspeisung oder Abweichungen der Netzspannung auszugleichen.“
Doch das ist alles leider noch Zukunftsmusik. Bevor überhaupt eine flächendeckende Versorgung für zum Beispiel E-Fahrzeuge gesichert werden kann, muss diese ausgebaut werden. Entweder durch eine Vielzahl von Photovoltaik-Anlagen oder durch das Leitungsnetz. Aber vielleicht ist die E-Mobilität doch nur eine Übergangstechnologie?