Der Tourismus und die Gastronomie werden immer als „Nice to have“ abgetan. Doch schauen wir uns einmal die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte an, so ist ein stetiges, kontinuierliches Wachstum zu beobachten. Welche politische Änderungen notwendig sind, damit das so bleibt, hat luckx – das magazin recherchiert.
Nicht mehr wegzudenken
Wir erinnern uns alle an die Zeit der Pandemie. Sehnsüchtig haben wir auf den nächsten Reisetermin, das nächste Konzert oder ganz profan auf ein Essen im Restaurant hingefiebert. Dabei wurde uns bewusst, welche Bedeutung diese „kleinen Erlebnisse“ für unser Leben haben. Manches scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Doch aktuell merken wir, welche „handwerklichen Fehler“ im Management verschiedener touristischer Anbieter gemacht wurden: Piloten wurden entlassen und fahren nun Güterzüge, Flugbegleiter haben sich anders orientiert und Gastronomie- und Hotelmitarbeiter sind in anderen Branchen untergekommen. Und das nur, weil sie nicht fair, respektvoll und wertschätzend behandelt wurden.
Dabei kommt dem Dienstleistungssektor Gastwelt mit dem Tourismus, Travel, Hospitality & Foodservice eine wesentliche Bedeutung zu. Obwohl das Ökosystem sowohl bei den Beschäftigungszahlen (5,8 Millionen Mitarbeitende) als auch der Brutto-Wertschöpfung (355 Milliarden Euro/Jahr) jeweils auf Ranking-Platz 2 in Deutschland steht, geht die Bundesrepublik bislang einen Sonderweg, in dem es die Gastwelt in der politischen Hierarchie hierzulande weit unten angesiedelt ist. Die größte Volkswirtschaft Europas positioniert den Sektor nämlich unterhalb des federführenden Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz sowie eines parlamentarischen Staatssekretärs „nur“ auf der dritten Hierarchieebene – und verschenkt damit viel Potenzial, so Dr. Marcel Klinge. Klinge und Kollegen vom „Institute of Tourism, Travel & Hospitality“ an der Hochschule Heilbronn haben im Auftrag der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) eine Studie veröffentlicht, die der Gastwelt eine höhere Bedeutung zukommen lassen will. Dem Thinktank DZG geht es mit Blick auf die nächste Wahlperiode die politischen Kompetenzen für den Tourismus zu stärken. So schlägt er deshalb für die nächste Wahlperiode einen Paradigmenwechsel vor: Um die enormen wirtschaftlichen Potenziale der Gastwelt besser auszuschöpfen, sei es sinnvoll, Zuständigkeiten radikal zu bündeln und ein eigenes Ministerium für „Wirtschaft & Tourismus“ oder „Ernährung, Tourismus & Lebensqualität“ einzurichten. „Die genaue Bezeichnung ist am Ende nicht entscheidend. Vielmehr geht es darum, dass die Gastwelt ein unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor sowie Garant für Lebensqualität und soziales Miteinander ist. Ein neu zugeschnittenes Bundesministerium würde der hohen ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Bedeutung des Dienstleistungssektors endlich Rechnung tragen. Mit den bisherigen Strukturen holen wir national einfach nicht das Maximum raus“, so der ehemalige Bundestagsabgeordnete.
Blick auf Europa
Die Untersuchung zeigt auf, wie Tourismuspolitik, nationales Tourismusmarketing und -förderung in Deutschland und in anderen europäischen Staaten organisiert sind. Studienautor Prof. Dr. Ralf Vogler hat vor diesem Hintergrund analysiert, wie sich starke europäische Tourismusnationen politisch erfolgreich aufgestellt haben: „Im Vergleich wird deutlich, dass Länder mit einem hohen touristischen Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) tatsächlich eigenständige Tourismusministerien haben“. Ein solches Ministerium sei zwar kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg, doch unterstreiche eine solche strukturelle Entscheidung die hohe politische Priorität des Sektors in diesen Ländern. „Die Verankerung des Tourismus auf ministerialer oder einer ähnlich hohen Ebene ermöglicht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine direktere, effektivere Steuerung und Koordination aller tourismuspolitischen Maßnahmen“, unterstreicht Vogler.
Auch Länder mit niedrigerem Tourismusanteil als Deutschland setzen, so der Wissenschaftler, mindestens auf die zweite politische Hierarchieebene für die Steuerung der nationalen Tourismuspolitik. Deutschland sei hier explizit einen anderen Weg gegangen, indem die Verantwortung im Bundeswirtschaftsministerium, seit der Bundestagswahl 2021, lediglich auf der dritten Hierarchieebene angesiedelt wurde – bei einem „Koordinator für Maritime Wirtschaft und Tourismus“.
Nach Auffassung der Denkfabrik ist das nicht nur ein operatives Problem, sondern ein klares Zeichen für die unzureichende politische Anerkennung des Sektors. „Der aktuelle Tourismusbeauftragte macht einen großartigen Job und unterstützt uns zu 100 Prozent – im Rahmen seiner Möglichkeiten. Mit Blick auf die enormen Herausforderungen in den kommenden Jahren wie den sich verschärfenden Mitarbeitermangel, steigende Kosten und bröckelnde Standortattraktivität benötigt der Sektor aber künftig eine institutionelle Verankerung auf einer hohen ministeriellen Ebene, am besten direkt am Kabinettstisch. Mit einem BIP-Anteil von rund 8,8 Prozent spielen wir bereits im oberen europäischen Mittelfeld – Italien oder Österreich sind in Sichtweite. Der Schritt zu einem ‚eigenen‘ Ministerium ist also realistisch und könnte die zentrale Forderung der Branche für die Bundestagswahl 2025 sein“.
Förderpolitik zeigt Handlungsbedarf
Zusätzlich gebe es – laut Studie – teils große Unterschiede bei der Rolle der Auslandsmarketingorganisationen und der touristischen Förderung. Wie man es besser machen kann, zeigen Deutschlands Nachbarn: Die Tourismusnationen um uns herum verstünden es, ein nahtloses Netzwerk zwischen politischer Führung, nationalen Tourismusorganisationen (NTOs) und Förderpolitiken zu weben, meint Klinge. Diese Integration führe zu einer strategisch durchdachten Auslandsvermarktung, die Hand in Hand mit den nationalen Fördermaßnahmen. So seien in Österreich in die Marketing-Aktivitäten der NTO strategische Aspekte integriert, und die NTO übernehme trotz starker Kompetenzen der Bundesländer national einheitliche Aufgaben im Bereich der Strategieentwicklung, die eine vergleichsweise starke Bund-Land-Kooperation indizierten. Klinge: „Länder wie eben Österreich oder auch die Schweiz bieten anschauliche Beispiele für eine vielschichtige und zielgerichtete Förderung auf Bundesebene.“ Die Ansätze dieser Nationen zeichneten sich durch eine klare strategische Ausrichtung und Koordination aus. Beide Nachbarstaaten nutzen Fördermaßnahmen, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Potenziale zugeschnitten sind, und integrieren diese nahtlos in ihre Gesamtstrategie.