Was kommt auf unseren Tisch? Tomaten aus Italien, Orangen aus Italien, Olivenöl aus Italien, Wein aus Italien. Das lässt sich beliebig fortsetzen. Doch keiner macht sich darüber Gedanken, ob das auch „mit rechten Dingen zugeht“. Doch Oliver Meiler verfolgte die Spuren. Im bei DTV erschienenen Buch „Agromafia“ zeigte er auf, wie die heutige Mafia zu Reichtum kommt.
„Nachhaltig unterschätzte“ Mafia
Die Mafia besitzt Tausende Restaurants, in der sie ihr Geld wäscht. Überall. Auch in Deutschland. Denn hier ist Geldwäsche ganz einfach. Und so nebenbei kontrolliert sie fast alles, was auf den Tisch kommt.
Ein Beispiel gefällig? Roberto Battaglia betrieb einen Büffelhof in der Provinz Caserta, nördlich von Neapel. Einst hatte er 500 Büffel. Sie lieferten Milch für den Mozzarella di Bufala. Dann kamen Kundschafter der berüchtigten „Casalesi“, einem Zweig der Camorra, der neapolitanischen Mafia. Sie verlangten den „Pizzo“: Schutzgeld. Zunächst weigerte er sich zu zahlen. Dann brannte ein Lieferwagen, dann ein Traktor, es lagen tote Büffel im Gehege. Viele Jahre wurde er erpresst. Dann tat er etwas, was die Wenigsten tun: er ging zur Polizei. Die schnappte den Mafioso bei der Geldübergabe. Für Roberto war es eine Befreiung. „Und zugleich ein kleiner Tod“, schreibt Oliver Meiler. Denn jetzt konnte Roberto nur wegziehen. „Die Camorra vergibt nie“, sagte er.
Oliver Meiler ist Italien-Korrespondent des Zürcher „Tages-Anzeigers“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Er ist also nah dran am Geschehen. In seinem Buch „Agromafia“ beschreibt er den neuen Siegeszug der sizilianischen Cosa Nostra, der kalabresischen ’Ndrangheta und der neapolitanischen Camorra. Die Mafia werde „nachhaltig unterschätzt“, schreibt Meiler. „Vor allem in Europa“.
Der Mozzarella di Bufala, dieses „weisse Gold“, ist einer der vielen Geschäftszweige der Mafia. Allein nur damit werden 1,2 Milliarden Euro jährlich umgesetzt. Die Mafia ist zu einem großen Teil daran beteiligt.
Panschen, wo es nur geht
Der Mozzarella, den die Mafia produziert – besser gesagt produzieren lässt –, stammt oft aus Büffeln, die mit dem Wachstumshormon Somatotropin gedopt werden. Alte, stinkende Milch wird mit Natriumhydroxid aufgepeppt. Oft wird Kuhmilch aus Rumänien beigemischt. Damit alles schön weiß aussieht, wird Kalk beigegeben. Wenn Kontrolleure kommen, ist die Mafia meist vorher schon informiert. Carabinieri, Polizisten, Politiker, manchmal auch Richter schauen weg. Sie geben den Mafiosi Tipps, wenn Kontrollen bevorstehen.
Neben der Mozzarella-Produktion kontrolliert die Mafia fast alles, was auf den Tisch kommt. „Das Geschäft mit dem Essen, mit Gemüse und Früchten, Olivenöl und Mozzarella, Pizza und Pasta, ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem bedeutenden Sektor im Portfolio der Mafia geworden“, schreibt Meiler. „Es ist ihr zweitgrößtes Geschäft, mehr als 24 Milliarden Euro nimmt sie damit im Jahr ein. Nur Drogen bringen noch mehr.“
Vom Feld bis in die Supermärkte, bis in die Restaurants – die Mafia hat die ganze Kette unterwandert. Sie diktiert die Preise und beherrscht den Transport.
Die Mafia zahlt
Mafiosi lieben Wirtschaftskrisen und Umstürze. Als die Berliner Mauer fiel, kaufte sie im Osten Deutschlands alles, was sie nur kaufen konnte: Immobilien und Geschäfte. Auch bei Krisen schlägt sie zu. Die Corona-Pandemie spült Geld in die Kassen. Geschäfte und Unternehmen, die in Not geraten sind, erhalten von der Mafia sofort Geld – im Gegensatz zu den Banken, die keine Kredite mehr vergeben. Doch die Mafia zahlt bar. Sie hat immer Geld. Und sie fragt nicht. So kommt das organisierte Verbrechen immer mehr mitten in der Gesellschaft an. Und wer in Not ist, verkauft. Dann eben an die Mafia.
Die Mafiosi schiessen viel weniger als früher, schreibt Meiler. Ihre Sprösslinge studieren an den besten Universitäten. Sie sind weltgewandt, mehrsprachig, international vernetzt und kennen sich mit wirtschaftlichen Zusammenhängen und Möglichkeiten bestens aus.
Oliver Meiler nimmt uns mit auf die Reise vom südlichsten Sizilien bis nach Deutschland. Das Geschäft mit dem „roten Gold“, den sizilianischen Pachino-Tomaten, den Besten in Italien, hat die Mafia fest in de rHand. Weil die sizilianische Cosa Nostra geschwächt ist, hat die kalabresische ’Ndrangheta das Geschäft übernommen. Mit Dumpingpreisen treibt sie ehrliche Tomatenbauern in die Verzweiflung. Produzenten, die nicht mit der Mafia kooperieren, werden ausgeschlossen. Auch chinesische Tomaten als italienische werden auf den Markt geworfen.
Die Tomatenpflücker, oft sind es Afrikaner, verdienen für zehn Stunden Arbeit pro Tag 20 bis 25 Euro. 3 Euro müssen sie für die Fahrt auf die Felder abgeben. „Der Mafia gefiel die Ausweglosigkeit dieser Menschen, sie macht sie gefügig.“ Untergebracht sind sie in Zeltlagern, Garagen, Blechhütten und verlassenen Fabrikhallen. Auch junge Rumäninnen werden angeheuert; sie werden dann oft sexuell missbraucht. Früher gab es Tomaten von Juni bis Oktober. Jetzt gibt es Treibhäuser, jetzt gibt es Tomaten fast das ganze Jahr, was der Mafia ein neues Geschäftsfeld eröffnet.
Rezensionen
Restaurants und Hotels, die sich weigerten, Schutzgelder zu zahlen, überhäufte die Mafia mit schlechten Rezensionen auf Tripadvisor. Wer mit den Mafiosi zusammenarbeitete, erhielt positive Rezensionen, wer sich weigerte, niederschmetternde.
Die italienische Hauptstadt Rom ist Mafialand. „Camorra capitale“ wird sie von den Medien genannt. „Die Stadt wurde von der Mafia ‚kolonialisiert‘“, zitiert Meiler das Nachrichtenmagazin „L’Espresso“. Höchste Politiker speisen in den Mafia-Restaurants. Manchmal hört die Polizei mit. So wurde Marcello dell’Utri, Berlusconis Verbindungsmann zur Mafia, überführt.
Was jetzt? In Deutschland ist die Mafia ebenso aktiv, wie Oliver Meiler darstellt. Seine intensive, detaillierte Recherche erschüttert. Wer das nächste Mal in einem seiner geliebten Restaurants sitzt, was kriegt er dann vorgesetzt: Mozzarella mit Wachstumshormonen? Gestohlenen Parmesan-Käse? Krankes Tuberkulose-Fleisch? Toskanisches Olivenöl aus Tresteröl aus Syrien? Und: gehört die Pizzeria der ’Ndrangheta oder der Camorra?
Trotzdem will Meiler einem Generalverdacht entgegenwirken. „Ein großer Teil der Lebensmittelproduktion ist sauber, sie wird betrieben von Menschen mit viel Leidenschaft für ihren Beruf und für die Traditionen.“