Wie wir mit Lebensmittel umgehen

Ob Autos, Bekleidung und Lebensmittel – vom jeden dieser und vieler anderer Produkte wird viel zu viel produziert. Und trotzdem kommt insbesondere von Lebensmittel viel zu wenig davon bei den Menschen an wie luckx – das magazin recherchierte.

Weniger ist mehr

Es ist eine unvorstellbare Zahl: 1,9 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle fallen in der Außer-Haus-Verpflegung jährlich an. Abfälle in der Überproduktion stellen eines der größte Einsparpotenziale dar. Trends wie „Zero Waste“ und „Re-Use Food“ setzen hier an und zeigen, wie Abfallreduktion funktionieren kann. Vor acht Jahren verabschiedeten die Vereinten Nationen die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Das zu Ziel 12 „Nachhaltige/r Konsum und Produktion“ gehörende Unterziel 12.3 strebt an, die weltweite Pro-Kopf-Verschwendung von Lebensmitteln bis 2030 zu halbieren. Mit der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung hat sich auch Deutschland dem Erreichen des Ziels verpflichtet. Im Jahr 2020 betrug die jährliche Gesamtabfallmenge an Lebensmitteln in Deutschland ca. 11 Millionen Tonnen, wovon 17 Prozent auf die Außer-Haus-Verpflegung (AHV) entfielen. Vornehmlich fallen diese Abfälle in der AHV bzw. in der Gemeinschaftsverpflegung in Betriebskantinen, Schulen, Kindergärten oder in der Gastronomie im Lager, in der Produktion, durch Überproduktion und Tellerrücklauf an. An diesen Punkten setzen Lösungsansätze zur Abfallreduktion wie die Trends „Zero Waste“ und „Re-Use Food“ an.

Transparenz schaffen

Zur Erreichung des SDGs 12.3 schlossen sich 2019 einige der weltgrößten Lebensmittelhändler und -anbieter zur 10 x 20 x 30-Initiative – angelehnt an die Zahlenfolge des SDGs 12.3 – zusammen. Darunter auch die Ingka-Gruppe, der größte IKEA-Einzelhändler. Ende 2022 konnte die Lebensmittelverschwendung in den Restaurants von 32 IKEA-Märkten bereits um 54 Prozent reduziert und somit mehr als halbiert werden. Ein Schlüsselakteur war dabei Leanpath, eine B-Corporation, die sich der Messung und Vermeidung von Lebensmittelabfällen mittels digitaler Tracking-Tools verschrieben hat. Steve Finn, Vizepräsident bei Leanpath erklärt: „Unsere Tools erfassen eine Fülle von Informationen zu jeder Lebensmittelabfall-Transaktion. Die Informationssammlung reicht von der Art der verschwendeten Lebensmittel, dem Gewicht und den Kosten, über den Grund für die Verschwendung (z. B. Überproduktion, Verderb) bis hin zu der Entsorgung (z. B. Spende, Kompost, Müll) und die damit verbundenen Umweltverträglichkeitskennzahlen.“ Mit dieser Messung als Grundlage werden Problembereiche aufgedeckt und gezielte Lösungen entwickelt. Außerdem ist sie nützlich für die Bewertung und Berichterstattung über Fortschritte. Darüber hinaus bezieht das Messverfahren das gesamte Küchenpersonal mit ein, so dass jeder Einzelne mit der Herausforderung der Lebensmittelverschwendung konfrontiert wird und sein Handeln nach dem Zero-Waste-Ansatz ausrichten kann.

Ganzheitlicher Ansatz

Ein weiterer Akteur im Kampf gegen Lebensmittelabfälle ist die Initiative United Against Waste e.V. Seit 2013 führt sie umfassende Analysen zu Lebensmittelabfällen in der AHV durch. Im Fokus steht dabei der ganzheitliche Ansatz. „Messungen alleine bringen keine langfristige Veränderung“, so heißt es in der letzten Zwischenbilanz von United Against Waste e.V. Darum sollte jeder Betrieb anhand der Messergebnisse konkrete und praxistaugliche Maßnahmen ableiten und diese kontinuierlich umsetzen. Da jedoch der AHV-Markt sehr komplex ist – jeder Betrieb hat unterschiedliche Küchenprozesse, Arbeitsabläufe, Gästestrukturen, Rezepturen – können Einsparpotenziale beim Lebensmittelabfall stark differieren und sind individuell zu betrachten. United Against Waste e.V. unterstützt dabei beratend. Die Zwischenbilanz von 2020 zeigt auch, dass Abfälle durch Überproduktion das größte Einsparpotenzial darstellen. Hier liegt die Krux in der Einstellung der Küchenbetreiber. „Allzu oft akzeptieren Betriebe ein hohes Maß an Verschwendung als Absicherung gegen Lebensmittelknappheit. Diese Denkweise spiegelt ein tieferes Problem wider: Im Großen und Ganzen werden Lebensmittel in der Welt nicht richtig wertgeschätzt“, erkennt auch Steven Finn.

Kreative Konzepte

Eine ganz andere Denkweise lebt das Restaurant HAPPA in Berlin. Das Bio-Restaurant dient als Vorzeigeprojekt für eine wertschätzende Lebensmittelverarbeitung. Mit pflanzlicher und regional-saisonaler Küche wird der Fokus auf wertschätzende, ganzheitliche Lebensmittelverarbeitung gesetzt. Mitgründerin Sophia Hoffmann hat sich einen Namen als Köchin, Autorin und Gastronomin gemacht und setzt sich seit Jahren für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Feminismus ein. Seit Eröffnung des Restaurants konnten durch die Zusammenarbeit mit Querfeld bereits 2.500 Kilo Lebensmittel vor dem Abfall bewahrt werden. Von dem Konzept des Bio-Lieferanten, der nicht genormte Bio-Lebensmittel rettet und an die Gastronomie verkauft, ist Sophia Hoffmann überzeugt: „Wir müssen weg von den gigantischen Verschwendungsmengen durch den Anspruch immer alles im Überfluss verfügbar zu haben. In vielen Betrieben gilt immer noch ‚so viel wie möglich für so wenig wie möglich Geld‘, das ist ökologisch nicht tragbar.“ Hier setzt der Re-Use-Food Gedanke an und macht das Potenzial von Lebensmittelresten sichtbar. Die Menüplanung im HAPPA ist so ausgelegt, dass Gemüseblätter mitverarbeitet werden, eigene Fermente werden aus Wassermelonenschalen und Würzpasten aus Gemüseabschnitten hergestellt. „Wir sind ein sehr kleines Konzept, denken aber, dass viele Komponenten als Best-Practice für größere Betriebe funktionieren können“, betont Sophia Hoffmann. „Mehr Flexibilität bei der Menüplanung und der Mut auch mal etwas ausgehen zu lassen, sind Faktoren, die ich auch immer wieder in meinen Consulting-Jobs für große Unternehmen als größten Hebel wahrnehme.“

Umdenken erforderlich

Dem Außer-Haus-Markt wird hinsichtlich der Vermeidung von Lebensmittelabfällen großes Potenzial zugesprochen. Erfolgsgeschichten zeigen, dass eine Reduzierung von Lebensmittelabfällen von 50 Prozent möglich ist. Um die Reduzierung der jährlichen Lebensmittelabfälle in der AHV voranzutreiben, braucht es neben praxistauglichen Maßnahmen und Unterstützung von politischer Seite auch eine Änderung der Denkweise. Ein Umdenken hin zu mehr Wertschätzung für Lebensmittel als kostbare Ressource kann der Schlüssel sein, um SDG 12.3. bis 2030 zu erreichen.