Wir alle wollen die sichersten Autos der Welt. Bei dieser Forderung unterstützt uns auch der Gesetzgeber. Obwohl dieser vielfach über das Ziel hinausschießt. Das beste Beispiel ist das Verbrennerverbot. Wohl wissend, dass dieses Ziel mit dem aktuellen Potential nicht erreicht werden kann. Wie Mercedes nun Fahrzeuge sicherer machen möchte, hat luckx – das magazin recherchiert.
Licht an!
Vor zehn Jahren war Spatenstich für die einzigartige Entwicklungsumgebung. Nun ist es fertiggestellt. Mit dem neuen, modern ausgestatteten und flexibel nutzbaren Lichttest-Zentrum erweitert Mercedes-Benz die vielfältigen Erprobungsmöglichkeiten des Prüf- und Technologiezentrums Immendingen. Mit 135 Metern Länge und acht Metern Höhe gehört die neue Lichttest-Anlage zu den größten Einrichtungen dieser Kunst in der Automobilindustrie. Sie erlauben die detaillierte Prüfung von Scheinwerfersystemen unter konstanten, reproduzierbaren Bedingungen – unabhängig von Tageszeit, Wetter und Umwelteinflüssen. Auf 135 Metern ist eine komplette Landstraße realitätsgetreu nachgebildet. Ihre eigens entwickelte Asphaltmischung kommt den Reflexionseigenschaften einer gealterten Straße sehr nahe. Bis zu fünf Pkw können parallel getestet werden – inklusive Simulation von Gegenverkehr oder vorausfahrenden Fahrzeugen. Leitpfosten lassen sich alle 20 Meter seitlich ausfahren, und auch Fußgänger-Dummys können flexibel integriert werden. Die Investitionskosten für das neue Lichttest-Zentrum betrugen 10,5 Millionen Euro, bei einer Bauzeit von zwei Jahren.
Fahrerlose Belastungstests
Doch damit nicht genug. Mit Hightech-Testeinrichtungen und fortschrittlichen Prüfmethoden setzt Immendingen branchenweit neue Maßstäbe. Dazu gehört ebenso der so genannte automatisierte Heidedauerlauf. Dabei steuern Fahrroboter die Testfahrzeuge vollautomatisiert über eine Schlechtwegestrecke. Deren Schlaglöcher, Bodenwellen und Kopfsteinpflaster stellen eine Herausforderung speziell für Fahrwerk und Karosserie dar. Die Automatisierung erhöht die Präzision des Fahrmanövers, senkt die Belastung für menschliche Test-Fahrerinnen und -Fahrer, erlaubt einen 24/7-Betrieb und beschleunigt die Erprobung erheblich – und das bei gleichbleibend harter Beanspruchung der Autos. Abhängig vom Fahrzeugtyp müssen die Erprobungsfahrzeuge bis zu 6.000 Kilometer auf diesem Rundkurs absolvieren, was einer Laufleistung von 300.000 Kilometern im Kundenbetrieb entspricht. Das bedeutet, dass ein Kilometer auf der Heide-Dauerlaufstrecke 150 Kilometer auf einer extrem schlechten, unter anderem mit tiefen Schlaglöchern übersäten Straße entspricht. Der Begriff Heidedauerlauf geht zurück auf eine sehr anspruchsvolle Schlechtwegestrecke in der Lüneburger Heide aus den 1950er Jahren.
Digitalisierung schafft effiziente, schnellere und nachhaltigere Erprobung
Wie für alle Testmodule gibt es auch vom Heidedauerlauf einen „Digitalen Zwilling“. Denn das Prüfgelände ist bis unterhalb des Millimeter-Bereichs digitalisiert abgebildet, Fahrzeuge und Beanspruchungen werden digital gespiegelt. Diese Daten werden in Vorab-Simulationen verwendet, dienen als Lastkollektive für Prüfstände und ermöglichen es so, Testergebnisse schnell in die Entwicklungsabteilungen zurückzuführen. Dieses digitale Testen ist heute so präzise, dass oft viele 1.000 Kilometer digital gefahren werden, bevor es zum ersten echten Testkilometer auf dem Prüfgelände kommt. Konkret bedeutet das, dass zum Beispiel bei der Fahrwerksabstimmungen für jede neue Baureihe mehr als 100 verschiedene Variationen digital erprobt werden. Und nur die geeignetsten Varianten werden dann in einen Prototyp eingebaut und real getestet. Genau das ist einer der großen Vorteile von Immendingen: dass nahezu alle Prüfanforderungen für das reale Testen – bis auf Schnee/Eis und extreme Hitze – an einem Standort gebündelt sind.
Die Welt im kleinen
86 Kilometer Straße auf 520 Hektar bieten die Optionen für umfangreiche Tests. Der Start vor zehn Jahren im baden-württembergischen Immendingen mit dem Bau einer einzigartigen Entwicklungsumgebung liefert dem schwäbischen Hersteller reproduzierbare, effiziente und nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten. Seitdem haben rund 30.000 Testfahrzeuge zusammengerechnet mehr als 100 Millionen Kilometer zurückgelegt – das entspricht der 2.500‑fachen Umrundung der Erde. Das Prüfgelände liefert mehr als 30 Testmodule mit insgesamt 86 Kilometern Reiseroute und 286 Abzweigungen. Das Gelände bildet die reale Verkehrswelt in vielfältigen Varianten ab: vom komplexen Großstadt-Kreuzungsverkehr über Passstraßen mit schnellen 180 Metern Höhenunterschied, von Schlechtwegstrecken und Kopfsteinpflaster bis hin zu Fernstraßen und Offroad-Geländestrecken. Es gibt Strecken, die die Fahrbahnbeschaffenheit und -markierungen in europäischen Ländern abbilden, aber auch Kopien der Straßen und Fahrbahnmarkierungen aus den USA, China oder Japan. Insgesamt können bis zu 400 Fahrzeuge gleichzeitig in den verschiedenen Testprogrammen unterwegs sein. Darüber hinaus gibt es auch spezielle Strecken mit 30 bis 100 Prozent Steigung.

Es wird Licht!
Um auch bei wolkenverhangenem Himmel oder Dämmerung prüfen zu können, wie sich die Fahrzeugsensorik bei tiefer stehender Sonne oder besonders hellen Lichtquellen verhält, gibt es eine künstliche Sonne. Solche mobilen Hochleistungsstrahler werden sonst auf Arktisschiffen zur Eisbergsuche verwendet. Auch Starkregen und Gischt können über spezielle Anlagen erzeugt werden.
Der Vorteil des Testzentrum ist, dass rund 80 Prozent der vormals auf öffentlichen Straßen durchgeführten Testfahrten inzwischen an den Standort verlegt wurden. Auch internationale Testaktivitäten sind ohne Einschnitte bei der Erprobungsqualität stark reduziert worden – ein entscheidender Schritt, um die Entwicklungszeiten zu verkürzen, die Fahrzeugreife schnell zu steigern sowie den CO₂-Fußabdruck in der Entwicklung zu reduzieren. In Spitzenwochen sind zusätzlich zu den mehr als 250 festangestellten Mitarbeitenden weitere 2.100 Personen aus anderen Standorten zum Testen vor Ort.
Pflege und Schutz des Geländes
Die Landschaftspflege auf dem Prüfgelände übernehmen hauptsächlich Schafe. Als Weidetiere verhindern sie, dass auf den sogenannten Magerrasen vermehrt Sträucher und Bäume wachsen und die artenreiche Wiesenlandschaft verdrängen. Zudem leben auf dem Prüfgelände mehrere Lamas. Sie dienen der Schafherde als Schutz vor Füchsen.