Lebensmittelproduktion

Es ist schon eine große Herausforderung, Lebensmittel noch nah wie möglich am Verbraucher zu produzieren. Denn das spart Transportkosten und erhält die Frische. Wir sind es gewohnt, zu jeder Zeit eigentliche alle Produkte zur Verfügung zuhaben. Wie es bei bestimmten Produkten gelingen kann, hat luckx – das magazin recherchiert.

Innovationsdruck

Der Trend zum Flexitarismus, der ungebrochene Verbraucherwunsch nach nachhaltigen, regionalen Lebensmitteln und die Notwendigkeit, die Nahrungsmittelproduktion an Klimaveränderungen und die Bedürfnisse einer gleichzeitig wachsenden Weltbevölkerung anzupassen sind die wichtigsten Treiber für den steigenden Innovationsdruck in der Wertschöpfungskette Agrar und Ernährung. Doch damit ist es nicht getan. Wenn in der Nähe der Verbraucher produziert werden soll, müssen andere Produktionsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Landwirtschaft muss dann vom Land in die Stadt ziehen. Doch Ackerflächen gibt es in den Städten nicht im erforderlichen Umfang. Also zieht es die Bauern in leerstehende Fabrikhallen. Dort wird dann unter dem Begriff Inhouse Farming produziert. Für dieses sich neu entwickelnde Segment müssen zuerst die Marktchancen erkannt und entwickelt werden. Um dem nachzukommen, werden im Rahmen der Inhouse Farming – Feed & Food Convention 2025 am 30. September und 1. Oktober 2025 im Congress Center Hamburg erste Weichen gestellt. Die internationale Konferenz mit Foyer-Ausstellung fokussiert Produktionssysteme innerhalb der Wertschöpfungskette Agrar und Ernährung. Das neue Fach-Event der DLG (Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft) fördert den vertieften Wissensaustausch darüber, wie beispielsweise Insektenzucht, Aquakultur oder Vertical Farming in tragfähige Geschäftsmodelle umgesetzt werden können. „Klimawandel, Erhalt der Biodiversität, Schutz vor Umweltkontamination und steigende Gefahr für Ernteausfälle sind große Treiber für Veränderungen in der Landwirtschaft. Daraus entsteht Innovationsdruck. In neuen Nahrungs- und Futtermitteln gibt es marktfähige Produkte, die Lösungen versprechen, deswegen ist der Bereich besonders attraktiv.“ So ordnet Prof. Tilo Hühn, ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Life Sciences und Facility Management und Vorsitzender des DLG-Ausschusses New Feed and Food, die Bedeutung des Marktfelds „Inhouse Farming und alternative Proteine“ ein. Ob sich Insekten, Algen oder andere neue Proteinquellen langfristig am Markt durchsetzen werden, hängt nach seiner Analyse von vielen Faktoren ab, die vom Preis bis zur Regulatorik reichen.

Simone Poppe, Inhaberin und Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens NewFood Consulting GmbH in Oldenburg, stellt zwar fest, dass die Landwirtschaft, wie wir sie kennen, „durch Insektenmast oder Mikroalgen auch in 20 Jahren nicht komplett ersetzt werden wird: Doch appelliert sie gleichwohl an landwirtschaftliche Unternehmer, sich heute zu überlegen, „wie in 50 Jahren ihre Böden aussehen werden und welche unternehmerischen Möglichkeiten sie ihren Kindern eröffnen möchten.“

Absatzwege und Betriebsstrukturen

Der Einstieg in die Produktion von Algen, Leguminosen oder Mast von Insekten erfordert Investitionen. Deshalb sollten Landwirte genau prüfen, ob sich bestehende Strukturen sinnvoll weiternutzen lassen. Wer etwa eine Hofschlachterei mit eigenem Laden betreibt, könnte perspektivisch mit einem kleinen Bioreaktor Zellmasse erzeugen und direkt vor Ort verarbeiten. Das wäre ein mögliches Modell für regionale Vermarktung. Darüber hinaus gelte es zu ermitteln, ob ein Absatzkanal in der Region vorhanden ist, über die sich die Rohstoff und Früchte verkaufen lassen. Die Regionalität von alternativen Proteinerzeugnissen können ein wichtiges Argument für deren zukünftige Erfolgschancen sein. Diese Erkenntnis könnte sich nach und nach auch im Lebensmitteleinzelhandel durchsetzen. Schon 2012 kamen die ersten alternativen Fleischprodukte auf dem Markt. Bis sie in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, dauerte es mehrere Jahre. Aktuell legen viele Händler Strategien auf, mit denen sie die Nachfrage der Flexitarier bedienen wollen. Veganerinnen und Veganer sind eine zu kleine Gruppe, aber bei Flexitariern ist es anders. Für den Lebensmitteleinzelhandel erscheint es gegenwärtig wichtig zu sein, dass Fleischprodukte und alternative Proteine ungefähr gleich viel kosten. Dagegen könnte es für Verbraucher wahrscheinlich noch wichtiger sein, wo beispielsweise die Ackerbohne für das Ersatzprodukt herkommt. Wenn sie dann hören, dass sie aus China stammt, wollen sie sie vielleicht nicht mehr kaufen. Spätestens dann wird der Handel reagieren (müssen).

Klar ist, dass die Weltbevölkerung weiter wächst und gleichzeitig die Auswirkungen des Klimawandels auf Umwelt und Landwirtschaft immer deutlicher werden. So ist es eine zentrale Notwendigkeit, Wertschöpfungsketten schrittweise neu zu denken. Und: First Mover von heute, können morgen erfolgreiche Player sein.