Es ist schon schwer, mit dem meist lästigen Übergewicht zurecht zukommen. Jeder Schritt, jede Bewegung ist anstrengend. Da wird dann unterlassen, was eigentlich dringend notwendig ist, wie luckx – das magazin recherchierte.
Muskelschwund
Muskelschwund aufgrund von Bewegungsmangel sei eine Krankheit, die bislang vor allem bei betagten Menschen, bei chronisch Kranken und als Folge längerer Phasen der Unbeweglichkeit beobachtet werde. Beispiele für solche chronischen Krankheiten könnten Krebs, Herzinsuffizienz oder Diabetes sein. Längere Unbeweglichkeit könne z.B. durch langes Tragen eines Gipsverbandes oder längere Bettlägerigkeit verursacht werden. Deshalb wird schon seit Jahren eine möglichst schnelle Mobilisierung vorangetrieben; auch nach schwersten Operationen. Denn je später eine Mobilisierung erfolgt, können weitere Schäden auftreten und eine schnellstmögliche Erholung verzögern oder behindern.
Es gibt aber noch eine andere Bevölkerungsgruppe, die verstärkt in den Fokus genommen werden muss: Menschen mit starkem Übergewicht, der sog. Adipositas. Aufgrund von Bewegungsmangel könne es bei dieser Bevölkerungsgruppe zu einem schleichenden Muskelschwund kommen, der unter dem Fettmantel verborgen und damit unentdeckt bleibe. Prof. Dr. med. Stephan Bischoff von der Universität Hohenheim in Stuttgart gehört zu einem internationalen Experten-Panel, das das neue Krankheitsbild der sogenannten „sarkopenen Adipositas“ definierte und Kriterien zur Diagnose erarbeitete. Hier gelte es, geeignete Therapien zu entwickeln.
Auch junge Menschen betroffen
Neu sei allerdings die Erkenntnis, dass auch junge Menschen an Muskelschwund leiden können, wenn sie entsprechendes Körpergewicht auf die Waage brächten, erklärt Ernährungsmediziner Bischoff. „Mit zunehmendem Übergewicht steigt erst einmal die Muskelmasse, um die Gewichtszunahme auszugleichen. Danach erreicht die Muskelmasse jedoch oft einen Kipp-Punkt, ab dem sie aufgrund von Bewegungsmangel wieder abnimmt.“ Das gefährliche daran: bei stark bis krankhaft übergewichtigen Menschen verberge die Decke aus Körperfett den gefährlichen Muskelverlust. Die Folgen seien nicht zu unterschätzen, warnt Bischoff: „Patientinnen und Patienten mit Muskelschwund sind deutlich anfälliger für Krankheiten. Auch die Lebenserwartung sinkt“, so der Ernährungsmediziner. Diesen Zusammenhang hätten zum Beispiel auch die Erkrankungswellen während der Covid-Pandemie illustriert: „Da sich Muskelschwund bei adipösen Menschen auch auf die Atemmuskulatur auswirkt, hatten diese aufgrund der verringerten Atemleistung deutlich schwerere Verläufe.“
Ein Viertel der Bevölkerung potentiell betroffen
In Deutschland seien Übergewicht und Adipositas leider kein Randgruppenphänomen: Rund die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland sei inzwischen übergewichtig. Bei einem Viertel der Gesamtbevölkerung sei das Übergewichts so stark ausgeprägt, dass sie unter dem Namen Adipositas als Krankheit eingestuft werde, so Prof. Dr. Bischoff.
Zuerst sei der Zusammenhang zwischen Adipositas und Muskelschwund durch eine Häufung von Einzelbeobachtungen aufgefallen. Um den Verdacht zu erhärten, entschlossen sich zwei Fachgesellschaften – die European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) und die European Association for the Study of Obesity (EASO) – das Thema mit einer eigens einberufenen Expertenrunde zu klären. In ihrem Auftrag führten Prof. Dr. med. Bischoff und über 30 Kollegen die Expertise aus 16 Ländern Europas und aus Übersee zusammen. In einem 4-stufigen sogenannten Konsensus-Gespräch erarbeiteten die Fachleute aus verschiedenen Disziplinen eine klinische Definition und Diagnoseverfahren. Koordiniert wurde das Panel von Prof. Dr. Lorenzo Donini von der italienischen Universität Sapienza in Rom.
Methodenmix zur Diagnose
Um die sogenannte „sarkopene Adipositas“ zu diagnostizieren, empfehlen sie einen Methodenmix. Dabei werden sowohl die Anteile von Fett- und Muskelmasse im Körper bestimmt als auch die Muskelfunktion gemessen. Um die Körperzusammensetzung zu bestimmen, biete sich z.B. die Bioimpedanzanalyse an: Das Analysegerät leite einen schwachen Strom durch den Körper der Patient:innen. Aus dem elektrischen Widerstand lasse sich dann die Körperzusammensetzung berechnen. Alternativ könnten auch Messungen aus der Magnetresonanztomographie („MRT-Röhre“) verwendet werden.
Um die Muskelfunktion zu testen, gäbe es eine Reihe standardisierter Tests. Dabei werde z.B. gestoppt, wie oft Patienten in einer Minute aufstehen und sich wieder hinsetzen könnten oder welche Gehstrecke sie in 6 Minuten zurücklegten. „Von der sarkopenen Adipositas sprechen wir dann, wenn sowohl der Anteil von Muskelmasse zu niedrig als auch die Muskelfunktion bereits beeinträchtigt ist“, erklärt Bischoff. Bei der endgültigen Diagnose würden dann noch Details wie Alter, Geschlecht oder auch die ethnische Zugehörigkeit berücksichtigt. Hier gehts zur Fortsetzung.
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