Viele Menschen sind aufgrund ihrer Arbeitszeiten nicht in der Lage, ihr tägliches Essen nachhaltig und ökologisch zu gestalten. So müssen sie mit den spärlichen Angeboten der Außer-Haus-Verpflegung zufrieden geben. Was sich dabei ändern soll, hat luckx – das magazin recherchiert.
Bio in der Außer-Haus-Verpflegung
Sechs Millionen Menschen essen Tag für Tag außer Haus. Das macht die Außer-Haus-Verpflegung (AHV) zu einem wichtigen Hebel, wenn es um eine nachhaltige Ernährungspolitik und die Förderung des Ökolandbaus geht. Es gibt bereits zahlreiche Beratungsangebote, die Großküchen bei der Umstellung auf Bio unterstützen. Nun treiben auch die jüngsten politischen Beschlüsse die Transformation zu mehr Bio in der AHV voran. Die Ernährungspolitik der Bundesregierung steht vor der ehrgeizigen Herausforderung, den ökologischen Landbau bis 2030 auf einen Anteil von 30 Prozent in Deutschland zu erhöhen. Um dies zu erreichen, muss auch die Nachfrage nach Bio-Produkten gestärkt werden. Ein bislang nur bedingt ausgeschöpftes Nachfragepotenzial wird in der Gemeinschaftsgastronomie gesehen. Der Bio-Anteil in der AHV in Deutschland liegt aktuell bei 1,3 Prozent. Trotz des großen Potenzials, stellt die Umstellung auf Bio viele Großküchen in der Praxis vor Herausforderungen. Höhere Kosten für Biolebensmittel, komplexe Beschaffung in ausreichenden Mengen und ein Zusatzaufwand durch die Biokontrollpflicht werden als die größten Hürden gesehen. Der bisherige Mangel an politischem Rückenwind scheint sich jedoch zu wandeln. Die jüngsten politischen Beschlüsse signalisieren Aufbruchstimmung.
Politischer Rückenwind
Anfang Oktober 2023 trat die neue Bio-AHV-Verordnung (AHVOO) in Kraft, welche den Zertifizierungsprozess und die Auslobung von Bio-Lebensmitteln mittels eines dreistufigen Labels vereinfacht: Gold für 90 bis 100 Prozent Bio, Silber für 50 bis 89 Prozent und Bronze für 20 bis 49 Prozent. Ziel der neuen Verordnung ist es, klarer, einfacher und ehrlicher zu werden. Die Kennzeichnung von Bio-Lebensmitteln soll in der Speisekarte für mehr Bewusstsein, Akzeptanz und Wertschätzung für die Lebensmittel und deren Produktionsweisen sorgen, regionale Absatzmärkte schaffen und die Nachfrage langfristig festigen. Zusätzlich hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Fördermöglichkeiten in der zuletzt vorgestellten Bio-Strategie 2030 verankert, die Unternehmen der AHV den Einsatz von Bio-Lebensmitteln erleichtern sollen. Die Stärkung der Bio-AHV, vor allem in Kitas, Krankenhäusern, Betriebsküchen und Seniorenwohnheimen, ist somit einer der zentralen Inhalte des Maßnahmen-Papiers. Einrichtungen können finanzielle Unterstützung bei der Beratung und Mitarbeiterschulung über die RIBE-AHV beantragen. Die Förderung umfasst bis zu 80 Prozent der Beratungskosten. In Kitas und Schulen mit eigenen Küchen können bis zu 90 Prozent übernommen werden. Der maximale Förderbetrag liegt bei 35.000 Euro. Darüber hinaus verspricht die Bio-Strategie 2030 eine Förderung der Bio-Zertifizierungskosten in den ersten zwei Jahren.
Öffentliches Vergaberecht
Erste Stimmen aus der Branche reagieren positiv auf die politische Unterstützung: „Zum einen hilft sicherlich die Vereinfachung der Bio-Zertifizierung durch die neue Bio-AHVVO. Dann erwarte ich eine ‚positive Spirale‘ durch höhere Nachfrage der AHV, die Landwirte bewegen wird, auf ökologischen Landbau umzustellen, da es zunehmend verlässliche Abnahmequellen geben wird“, erklärt Thomas Voß, Kaufmännischer Direktor der LWL-Kliniken Münster und Lengerich. Seit 2004 werden in den Küchen der LWL-Klinik Bio-Lebensmittel eingesetzt – bei 950 Mittagessen pro Tag. Den aktuellen Bio-Anteil von 20 Prozent möchte Voß kontinuierlich steigern. Herausforderungen bei der Beschaffung der Bio-Ware sieht er im öffentlichen Vergaberecht: „Wir wollen vorzugsweise Bio-Angebote aus der Region, gerne auch von regionalen Erzeugern oder Erzeugergemeinschaften. Leider ist der regionale Bezug bisher kein zulässiges Vergabekriterium.“ Bei tierischen Produkten jedoch könne man sich auf den Grundgesetzartikel 20a beziehen, durch den Tierwohl Verfassungsrang hat. Im Rahmen des Auftragsbestimmungsrechtes gibt dies dem Auftraggeber Spielraum. „So ist es uns gelungen u.a. bei Putenfleisch, Hühnerfleisch oder Frischmilchprodukten ganz oder teilweise mit regionalen Erzeugergemeinschaften zusammenzuarbeiten.“ Bestärkt in seiner Überzeugung, dass eine enge Zusammenarbeit mit Erzeugern der richtige Weg zu mehr Bio ist, wird Voß durch Erfolgskonzepte in Dänemark.
„Bio-Weltmeister“ Dänemark
Dänemark gilt als Bio-Vorreiter in der Gemeinschaftsverpflegung. Mittlerweile gibt es mehr als 3.500 bio-zertifizierte Betriebe mit einem Bio-Anteil von mindestens 30 Prozent. In Kopenhagen liegt der Bio-Anteil in öffentlichen Kantinen und Mensen sogar bei 90 Prozent. Das Geheimnis des Erfolgs kennt Rainer Roehl, Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens a’verdis: „Geänderte Vergabebestimmungen für den Lebensmitteleinkauf, die Fokussierung auf die Entwicklung der Küchen und Küchenteams hin zu einer qualitätsorientierten Frischküche und die institutionenübergreifende Vision für eine neue, natürliche und nachhaltige Esskultur haben maßgeblich zu dem Erfolg für Bio in der dänischen Außer-Haus-Verpflegung geführt“. Dazu kommen einfache Biostrukturen im Land und eine zentrale politische Steuerung.
Stellschrauben für den Erfolg
Als der Schlüssel zum Erfolg werden meist Aus- und Weiterbildung beziehungsweise die persönliche und fachliche Entwicklung der Küchen- und Serviceteams gesehen. Was die Wirtschaftlichkeit angeht, erkennt Thomas Voß viele Möglichkeiten, Kosten zu kompensieren: „Speisepläne überarbeiten und Angebote an Fleischprodukten reduzieren – so können erhebliche finanzielle Beträge eingespart werden, die der Küche wiederum bleiben, um qualitativ hochwertigere und nachhaltigere Lebensmittel einzukaufen.“ Sophia Hoffmann, Köchin und Inhaberin des Berliner Bio-Restaurants HAPPA sieht eine weitere Stellschraube: „Die Einsparung von Lebensmittelabfällen hat eine bedeutende Hebelwirkungen durch die Bioqualität leistbar gemacht werden kann.“